Mustererkennung für Fortgeschrittene – FleishmanHillard auf der re:publica

re:publica 2017: Christina Jahn, Katja Evertz und Melanie Saß

Ein Teil unseres Teams auf der #rp17: Christina Jahn, Katja Evertz und Melanie Saß

Ein Potpourri! Bunt! Richtungsweisend! Das ist, kurz zusammengefasst, die re:publica. Um die Themenvielfalt auf der re:publica aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, haben wir in diesem Jahr Kundschafter aus unterschiedlichen Bereichen nach Berlin geschickt. Mit ihrer Erfahrung aus Technology, Social/Digital bzw. Public Affairs sollten sie aus dem inhaltlichen Gewusel und Gewimmel Anregungen für die Kommunikationsarbeit herausfiltern und relevante Trends erkennen – Mustererkennung für Fortgeschrittene sozusagen. Mit von der Partie waren Christina Jahn (Technology, München), Dominika Fellner (Public Affairs, Berlin) und Katja Evertz (Creative Strategy & Innovation, Frankfurt). Hier ihre Eindrücke.

re:publica 2017: Poster Art

Was macht die re:publica auch für die PR relevant?

Katja Evertz: Die re:publica zeigt einerseits eindrucksvoll, wie vielseitig die Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung auf unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbereiche sind. Die Themen, die in Berlin diskutiert werden, sind dabei immer von aktuellen Ereignissen und Debatten geprägt. In diesem Jahr stand sie unter dem Motto „Love Out Loud“ – als Gegenentwurf zu Hate Speech und Fake News, die das Netz gefühlt immer stärker dominieren.

Andererseits ist die re:publica auch ein Pulsmesser dafür, wohin sich die digitale Gesellschaft in Deutschland bewegt und welche Fragen uns in den nächsten Jahren häufiger begegnen werden. Viele Themen werden dort diskutiert, ehe sie in der breiteren Öffentlichkeit ankommen – und auch die Perspektiven sind differenzierter. So thematisiert die re:publica eben nicht nur, welche Möglichkeiten Digitalisierung bietet (vom Arbeiten 4.0 bis hin zur Automatisierung durch Roboter, Algorithmen und künstliche Intelligenz), sondern eben auch, welche Antworten es aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auf mögliche Verwerfungen braucht – vom Datenschutz bis zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Christina Jahn: Durch die unheimliche Vielfalt an Themen und Session macht es die re:publica ihren Besuchern besonders leicht, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Ich bin in mehr als einer Session gelandet, die letztlich ganz anders war als ich erwartet hatte und die mir neue Perspektiven gezeigt hat. Das erweitert nicht nur den eigenen Horizont, sondern kann auch zu der ein oder anderen neuen Idee für unsere Kunden führen. Und nicht zuletzt herrscht auf der re:publica eine wunderbar entspannte Atmosphäre – das macht es besonders einfach, mit Leuten ins Gespräch zu kommen und ganz ungezwungen neue Kontakte zu knüpfen.

re:publica 2017: Katja Evertz, Arne Klempert und Dominika Fellner

Der andere Teil unseres Teams: Katja Evertz, Arne Klempert und Dominika Fellner

Dominika Fellner: Das Thema Digitalpolitik ist in den letzten Jahren auch unter Politikern „sexy“ geworden und bietet gerade den jüngeren Abgeordneten eine Möglichkeit sich zu profilieren. Aber nicht nur die Attraktivität des Themas hat in den letzten Jahren zugenommen, auch die Notwendigkeit im digitalen Raum für Spielregeln zu sorgen hat an Bedeutung gewonnen; Stichwörter: IT-Sicherheit, Regulierung digitaler Plattformen, Cyber Security, Datenschutz usw.

Auf der anderen Seite ist auch das Bewusstsein dafür gestiegen, dass Deutschland beim Ausbau der digitalen Infrastruktur aufholen muss, um den Anschluss in der Welt nicht zu verpassen. Der Breitbandausbau ist daher ein seit Jahren viel diskutiertes Thema und ein Paradebeispiel dafür, wie schlecht es der Politik häufig gelingt, mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten.

Um dies zu ändern, haben die Bundespolitiker in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Maßnahmen angestoßen und umgesetzt. Unter anderem wurde mit dem Beginn der aktuellen Legislaturperiode erstmal der Bundestagsausschuss Digitale Agenda eingerichtet. Von Seiten der Regierung wurde bislang zwar noch kein ähnlicher Schritt mit der Einrichtung eines Digitalministeriums vollzogen, diese Idee wird allerdings immer wieder diskutiert und könnte nach der Bundestagswahl im September 2017 mehr Gestalt annehmen. Zudem hat die Bundesregierung im Jahr 2014 erstmals ihre „Digitale Agenda“ veröffentlicht, in der sie verschiedene digitalpolitische Maßnahmen vorstellt. Im letzten Jahr hat sie dieses Papier mit der Veröffentlichung der „Digitalen Strategie 2025“ erneuert.

Möglichkeiten zum Austausch und zur Diskussion, wie sie die re:publica bietet, werden von der Politik genutzt, um mit den relevanten Akteuren in Kontakt zu kommen und sich das notwendige Sparring von Seiten der digitalen Wirtschaft zu sichern.

Welches Thema war in diesem Jahr besonders prägend?

Dominika Fellner: Aus Public-Affairs-Sicht war dieses Jahr vor allem der aktuelle Entwurf des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) von Interesse, der in zahlreichen Sessions und Diskussionen besprochen wurde und wie die Faust aufs Auge zum diesjährigen Thema der re:publica passte: Love out Loud.

Denn hinter dem sperrigen Titel des Gesetzes verbirgt sich die Absicht, sogenannte Hasskommentare und Fake News in sozialen Netzwerken zu bekämpfen. Dem Hass im Netz soll ganz viel Liebe entgegengesetzt werden. Eine Initiative, die bei Netzaktivisten eigentlich auf Zustimmung trifft. Problematisch ist aber, dass im aktuellen Entwurf des Gesetzes den Plattformen in weiten Teilen selbst überlassen werden soll, welche Kommentare sie für rechtswidrig und damit löschpflichtig halten unter gleichzeitiger Androhung hoher Geldstrafen für nicht entfernte Kommentare.

Die Netzgemeinde, und das wurde in zahlreichen Sessions und Infomaterialien auf der re:publica deutlich, fürchtet daher, dass durch diesen Vorstoß eine erhebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit im Netz und die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung erfolgen. Darüber hinaus sehen sie die Anonymität im Netz in Gefahr, da „Opfer“ von Hasskommentaren das Recht erhalten sollen, den Klarnamen des Autors zu erfahren.

Ziel der verschiedenen Diskussionen war es daher, auf die vielen Unzulänglichkeiten des Gesetzentwurfs aufmerksam zu machen und die Netzgemeinde dazu aufzurufen, öffentlich gegen die Initiative Stellung zu beziehen – wie es von vielen Seiten auch schon gemacht wurde – um das Gesetz doch noch zu verhindern und zu einer breiten Diskussion über mögliche Alternativen anzuregen.

Innenminister Thomas de Maizière auf der #rp17 im Gespräch mit Geraldine de Bastion, Markus Beckedahl und Constanze Kurz

Innenminister Thomas de Maizière auf der #rp17 im Gespräch mit Geraldine de Bastion, Markus Beckedahl und Constanze Kurz

Christina Jahn: Mich hat beeindruckt, dass sich mit Andrea Nahles und Thomas de Maizière auch dieses Jahr wieder Politiker alteingesessener Parteien dem zuweilen ziemlich kritischen Publikum gestellt haben. Das halte ich aus zwei Gründen für besonders relevant: Zum einen zeigt es, wie weit sich die re:publica in den letzten Jahren von einem beschaulichen „Internet-Klassentreffen“ zu einer Veranstaltung in der Mitte der Gesellschaft verändert hat. Die Besucher gehören sicherlich immer noch zur digitalen Elite. Aber sie haben erkannt, dass ihre Themen – Stichwort „Digitalisierung“ – längst alle Bevölkerungsschichten betreffen und entsprechend diskutiert werden müssen.

Zweitens ist es aus diesem Grund ungeheuer wichtig, dass die Politik diese Veränderungen wahrnimmt und in der Öffentlichkeit gemeinsam mit den Bürgern über Lösungen diskutiert. Auf der re:publica werden in drei Tagen sicherlich keine gesellschaftlichen Probleme gelöst. Aber es ist ein guter Anfang, um den Diskurs in Schwung zu bringen. „Neuland“ ist dieses Internetz ja schon lange nicht mehr.

Katja Evertz: Ich finde auch sehr spannend zu sehen, wie die re:publica nicht mehr nur innerhalb der Netzgemeinde Debatten prägt, sondern auch den Dialog mit der Politik ermöglicht.

re:publica 2017: ein virtueller Gang durch den Kölner Dom beim WDR

Ein virtueller Gang durch den Kölner Dom beim WDR

Besonders begeistert hat mich aber in diesem Jahr die Präsenz von Augmented und Virtual Reality – im Programm ebenso wie in der Ausstellung: Beim WDR konnte man beispielsweise mit einer VR-Brille durch den Kölner Dom gehen oder bei Microsoft mit der Hololens ein schlagendes Herz mitten in den Raum projizieren und untersuchen. Im labore:tory gab es zudem zahlreiche weitere VR-Filme, -Spiele und andere Installationen.

Zwar stecken manche Projekte weiterhin in den Kinderschuhen (die Auflösung von 3D-Animationen in der Hololens kommt aktuell an die Realität noch nicht heran), aber dennoch hat dieser Teil der re:publica für mich gezeigt, wieviel Potential in Augmented, Virtual und Mixed Reality steckt: Für Unternehmen lässt sich mithilfe von Augmented Reality beispielsweise die Wartung von Anlagen und Maschinen optimieren, indem der Wartungstechniker zusätzliche Informationen über eine AR-Brille angezeigt bekommt oder über die integrierte Kamera einer entsprechenden Brille auch die Ferndiagnose möglich wird. Und Geschichten – egal ob journalistisch oder fiktiv – beobachten man nicht länger nur als passiver Zuschauer, sondern man steht auf einmal mitten drin.

Was war Dein Highlight auf dieser re:publica?

Christina Jahn: Aus so vielen spannenden Sessions eine auszuwählen ist gar nicht so einfach. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir aber ein Vortrag, unter dem ich mir zunächst gar nichts vorstellen konnte: In ihrer Session „Business Science-Fictionalized“ zeigen die beiden Studenten Joachim Haupt und Wenzel Mehnert, wie Unternehmen und Science Fiction Einfluss auf die Zukunftsvorstellungen in unserer Gesellschaft nehmen – und vor allem, wie sich Unternehmen und Sci-Fi-Autoren gegenseitig beeinflussen. „Star Trek was not a fantasy to us, it was an objective“, sagte beispielsweise Martin Cooper, der als Erfinder des Mobiltelefons gilt und für Motorola den ersten funktionierenden Prototypen dafür entwickelte.

Science Fiction dient als Inspiration für Innovation und damit auch als Motivation für unternehmerisches Handeln. Und Unternehmen nutzen dieses Potential auch bereits systematisch: „Futuristen“ entwickeln unter dem Begriff „Sci-Fi-Prototyping“ für Unternehmen Science-Fiction-Geschichten über gewünschte Zukunftsvisionen. Und auf der anderen Seite haben Unternehmen auch Interesse daran, dass bestimmte Zukunftsvisionen in Filmen und Büchern aufgegriffen werden, damit die Bevölkerung eine positive Meinung dazu bekommt. Beispielsweise kann ein Unternehmen wie SpaceX nur davon profitieren, dass der Traum von Weltraumreisen durch erfolgreiche Kinofilme weiter angefeuert wird. Aus diesem Vortrag konnte ich für unsere Technology-Kunden einiges an Inspiration mitnehmen.

Dominika Fellner: Highlight war definitiv der Vortrag am Mittwoch von Katharina Nocun. Sie hat sich in den vergangenen Monaten mit den verschiedenen Grundsatz- und Wahlprogrammen der AfD auseinandergesetzt und dabei den „Source Code der Partei“ analysiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchung hat sie in einen unterhaltsamen, selbstironischen (sie hat polnische Wurzeln und ist aus diesem Grund bereits mit der AfD aneinandergeraten) und erhellenden Vortrag gepackt, der sehr viel Interesse beim Publikum hervorgerufen hat. Der Raum war bis auf den letzten Sitzplatz belegt und viele der Zuhörer, die erst später dazukamen, mussten am Rand stehen.

Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen die Ansichten der AfD zum Thema Digitalpolitik. So machte sie deutlich, dass die Rechtspopulisten den Datenschutz erheblich einschränken wollen, um die Sicherheitsbehörden, wie sie es nennen, zu stärken. Dazu zählen auch die Forderungen der Einführung der Video-Überwachung mit Gesichtserkennungsfunktion im öffentlichen Raum sowie die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung. Außerdem spricht sich die AfD für Internetsperren aus und fordert damit die Schaffung einer Zensurinfrastruktur.

Obwohl sie ihren Vortrag sehr unterhaltsam gestaltet und ihre Argumente mitunter überspitz dargestellt hat, enthielten ihre Ausführungen einen ernsthaften Appel: Nie wieder! Katharina Nocun macht sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft in diesem Land und möchte daher die öffentliche Aufmerksamkeit auf die demokratiegefährdenden Tendenzen der AfD lenken. Ein Appell, der zumindest beim anwesenden Publikum auf offene Ohren gestoßen ist.

Katja Evertz: In meiner Highlight-Session bin ich auch eher zufällig gelandet. Es war die Präsentation von Antoine Cayrol über Storytelling in Virtual Reality „Sci-Fi & VR: Narratives of the Future“. Er hat sehr anschaulich dargelegt, welche Anforderungen virtuelle Realität z. B. an Filmsprache, Bühnenbild, Tontechnik und Schnitt stellt, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu lenken – also beispielsweise den Fokus einer Szene durch ein Geräusch anzukündigen, dass den Zuschauer dazu bringt, sich umzusehen.

re:publica 2017: Alte Bekannte wieder treffen

Auf der rp trifft man auch alte Bekannte wieder.

Insgesamt war mein Highlight aber auch in diesem Jahr etwas anderes: Die re:publica ist ja keine klassische Konferenz oder Messe, sondern auch Makerspace, Innovation Lab, Festival und Klassentreffen. Deshalb sind für mich die Gespräche, die rund um die re:publica stattfinden, auch so wichtig. Das Wiedersehen und der Austausch mit alten und neuen Bekannten gehört einfach dazu. Die Sessions sind nur der Anfang der Gespräche zu den verschiedenen Themen rund um die Digitalisierung.