Wider die Scheinheiligkeit!
Transparenz ist das Gebot der Stunde. Das schlechte Management der Corona-Krise hat das schon vor der Pandemie schwindende Vertrauen in unser Gemeinwesen erschüttert. Maskenaffäre, Korruptionsvorwürfe und undurchsichtige Interessenskonflikte schaffen eine veritable Vertrauenskrise, von der Politik und Gesellschaft sich nur langsam erholen werden.
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Die Krise kommt zur Unzeit. Mit Digitalisierung, Energiewende, Umbau der Automobilindustrie, CO2-Neutralität, Überalterung der Gesellschaft sowie Migration und Integration (um nur die wichtigsten Themen zu nennen) stehen uns epochale Herausforderungen ins Haus. Trotz allen Glaubens an europäische und globale Regelungs- und Vertragswerke müssen wir diese zunächst in einem nationalen Rahmen bewältigen. Und dies bedarf zwingend des Vertrauens in unser politisches System und die handelnden Akteure.
Während das Vertrauen in die Politik schwindet, steht es um das Ansehen der Wirtschaft nicht besser. Nach dem Bilanzbetrug von Wirecard, dem Steuerraub durch Cum-Ex-Geschäfte oder den Manipulationen des Dieselskandals werden auch Unternehmen zunehmend mit Argwohn betrachtet.
Es ist Zeit, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Die Anforderungen sind hoch. Die digitalen Medien haben Informationen demokratisiert und entgrenzt. Sie haben Berichterstattung beschleunigt, popularisiert und radikalisiert. Eine neue Öffentlichkeit ist entstanden. Bürgerinnen und Bürger tauschen sich ohne den redaktionellen Filter klassischer Leitmedien aus. Das führt bisweilen zur Dominanz von Meinungen über Fakten. Und zu überbordenden Emotionen, die sich in Empörung und Beleidigtsein entladen.
Das mag man beklatschen oder beklagen. Auf jeden Fall schafft es aber ein schärferes Anforderungsprofil an gesellschaftliche Institutionen. Politische Führung ist in einem höheren Maß rechtfertigungsbedürftig. Ebenso müssen Unternehmen ihren Effekt auf die Gesellschaft begründen. Infrage steht nicht nur der Beitrag zum Gemeinwesen, sondern letztlich, wie wir dessen Zusammenhalt sicherstellen.
Gefordert ist Transparenz. Unternehmen müssen heute über den Profit hinaus das Wohl und die Interessen gesellschaftlicher Anspruchsgruppen im Blick haben. Ansonsten verlieren sie ihre License To Operate. Damit steht die Zukunftsfähigkeit auf dem Spiel.
Vertrauen entsteht dann, wenn Unternehmen glaubwürdig zeigen können, dass sie dieser Anforderung gerecht werden. Wie schwierig es ist, diesen Weg jenseits öffentlichkeitswirksamer Ankündigungen konsequent zu gehen, erfahren wir als Berater für strategische Kommunikation beinahe täglich aufs Neue.
Die Beratungsbranche selbst hat dabei Vorbildfunktion. Sie ist ein wichtiger Multiplikator für Innovation und Modernisierung. Leider wird sie dieser Funktion häufig nur ungenügend gerecht. Dabei geht es nicht nur um große Skandale wie EYs mangelhafte Sorgfalt im Fall Wirecard oder McKinseys Anheizen der Opioidkrise in den USA. Diese Fälle sind moralisch wie politisch eindeutig.
Es geht um Klarheit und Offenheit im Alltagsgeschäft. Es geht um unabhängige und nachvollziehbare Standards, um Transparenz und Ehrlichkeit im täglichen Tun. Es geht darum, Handlungsmaximen, die von uns als Berater beinahe täglich bei anderen angemahnt werden, auch für uns selbst anzuerkennen. Und bei Zuwiderhandlung zu sanktionieren.
Dazu bedarf es der transparenten Aufklärung. Über das Führen von Stakeholder-Listen. Über die Behauptung, eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einzunehmen – aber für Kunden zu arbeiten, die die Klimapolitik aktiv unterlaufen. Über das falsche Versprechen, aufgrund der Corona-Krise keine Stellen abzubauen. Diese Liste ließe sich um viele Beispiele erweitern: von undurchsichtigen Angaben zum Umsatz und falschen Zahlen bei Branchenrankings bis zur lukrativen Arbeit für Autokraten trotz systematischer Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen oder aber der PR-Inszenierung einer Dokumentation zu einer Corona-Studie.
Scheinheiligkeit hat heute System. Das gilt in der Klimapolitik, wo fast jedes Unternehmen einen forschen Plan gegen den Klimawandel vorgelegt hat, aber zu viele Akteure die aktive Klimapolitik mit allen Mitteln bekämpfen. Es gilt in der Debatte zur Ordnung des digitalen Raumes, wo Plattformen wie Facebook zwar lautstark nach Regulierung rufen, sich dann aber jedem konkreten Vorschlag rabiat entgegenstellen. Und es gilt in der Politik, wo Corona-Beschränkungen bisweilen von jenen unterlaufen und zum eigenen Vorteil genutzt werden, die sie selbst erlassen haben.
Transparenz ist das Gebot der Stunde. Als Berater müssen wir Werte klar kommunizieren und in verbindliche Handlungen umsetzen. Und wir müssen uns daran messen lassen. Das bedeutet, Fehler einzugestehen und Fehlentwicklungen anzusprechen. Und dort, wo es nötig ist, Konsequenzen zu ziehen. In der Krise besteht unsere Aufgabe darin, mit klarer Kommunikation Offenheit zu demonstrieren, um das Vertrauen zu stärken. Packen wir es an!
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Hanning Kempe ist seit 2012 CEO von FleishmanHillard in Deutschland. Mit über 25 Jahren in der Kommunikationsbranche ist er ein gesuchter Ratgeber für Themen wie Dialog Management, Unternehmensstrategie, Unternehmenskommunikation, Change-und Krisenkommunikation sowie Issues Management. Sein Schwerpunkt liegt auf den Branchen...