Corporate Citizenship - geopolitische Herausforderungen und wertebezogenes Wirtschaften
Angesichts sinkender Gasreserven in den deutschen Speichern hat RWE-Chef Markus Krebber Ende Januar in der FAZ staatliche Eingriffe in den weitgehend liberalisierten Gasmarkt gefordert. Er könne sich beispielsweise eine staatliche Bevorratung vorstellen. Zwar erfüllen derzeit alle Lieferanten ihre Aufträge, aber gerade im Angesicht der zunehmenden Spannungen mit Russland kann nicht geleugnet werden, dass die Versorgung auch aufgrund geopolitischer Spannungen in eine prekäre Situation geraten könnte. Russland ist mit Abstand der größte Lieferant von Erdgas für Deutschland.
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Ein Versorgungsstopp könnte nur einige Wochen überbrückt werden. In Deutschland nutzt die Hälfte der Haushalte Gas zur Wärmeerzeugung, viele Industrieunternehmen sind ebenfalls darauf angewiesen. Sie stehen nun vor der Frage, ob sie geopolitische Risiken ausreichend in ihrer Unternehmensstrategie berücksichtigt haben und ob sie sich ihnen gegenüber resilienter aufstellen müssen.
Die Rückkehr der Geopolitik
Der Global CEO Survey von PricewaterhouseCoopers hat ergeben, dass 32 % der befragten CEOs wegen geopolitischer Konflikte besorgt sind. In Deutschland sind es sogar 38 %. Auch eine Befragung von Ernst & Young kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil von Unternehmensführern sinkt, die ihr Unternehmen für politische Risiken gewappnet sehen. 74 % gaben an, wegen geopolitischer Risiken „starke Sorgen“ zu haben. Weitere 24 % haben „moderate Sorgen“. Neben dem Klimawandel und Cyber-Angriffen entwickeln sich geopolitische Konflikte zu einem der größten Risiken für Unternehmen. Denn sie werden begleitet von Handelskonflikten, Sanktionen, Protektionismus, Währungskriegen und im schlimmsten Fall militärischen Auseinandersetzungen.
All das erleben Unternehmen derzeit in großem Maßstab im Spannungsfeld von Russland, der EU, China und den USA. Geopolitik muss daher fester Bestandteil von Unternehmensstrategien sein und als Entscheidungsparameter implementiert werden. Es geht einerseits darum, auf Krisen reagieren zu können und Handlungsoptionen vorzubereiten. Andererseits muss bereits bei langfristigen Entscheidungen wie einem Markteintritt eine Risikoabwägung vorgenommen werden, potenzielle Risiken müssen identifiziert werden. Die volatilen geopolitischen Verhältnisse können weder kurz- noch langfristig als gegeben vorausgesetzt werden.
Geopolitische Resilienz-Anforderungen steigen an
Die NATO hat in einem Bericht von 2020 den geopolitischen Wettbewerb und die Systemrivalität als eine der größten Herausforderungen identifiziert. Neben dem aggressiven Auftreten Russlands sieht sich Europa vor allem dem wachsenden Einfluss Chinas ausgesetzt. Lange Zeit galt China als gigantischer Absatzmarkt, aber verstärkte Eingriffe der chinesischen Staatsführung verdeutlichen mehr und mehr die politische Komplexität, die mit ihm verbunden ist. Die liberal-demokratische Marktwirtschaft des Westens tritt immer schärfer in direkte Konkurrenz mit dem chinesischen Staatskapitalismus.
Die geopolitische Rivalität dringt bis tief in das globale Wirtschafts- und Handelssystem vor. Je bedeutender Chinas Rolle in der Welt wird, umso relevanter werden beispielsweise Fragen der Menschenrechte für die deutsche Politik. Umgekehrt sind Unternehmen in China verstärktem Druck ausgesetzt, wenn sie sich konträr zur chinesischen Staatspolitik positionieren.
Mit dem Exportkontrollgesetz, das am 01. Dezember 2020 in Kraft trat, hat die chinesische Führung ein weiteres Instrument entwickelt, um Einfluss auf Unternehmen auszuüben. Dabei setzt das Land zunehmend auf Extraterritorialität. Das Gesetz findet weltweit Anwendung auf Reexporte von solchen Gütern mit chinesischem Warenursprung, die Relevanz für die „nationale Sicherheit und nationale Interessen“ Chinas haben. Durch derartige bewusst unbestimmte Begriffe garantieren sich die Behörden einen großen Spielraum bei der Anwendung.
It’s not just the economy, stupid
Es sind aber nicht nur akute Risiken durch Sanktionen oder die Störung von Lieferketten, die für Unternehmen bedrohlich werden können. Der Wohlstand in Deutschland ist ohne Multilateralismus, also die Zusammenarbeit von Staaten, nicht denkbar. Arbeitsplätze, Handelsbeziehungen, wirtschaftlicher Gewinn: Das alles basiert nicht allein auf ökonomischen Entscheidungen, sondern auch auf politischen Werten.
Nehmen Protektionismus und nationale Abschottung zu und Kooperation und Multilateralismus ab, dann wird weder in Deutschland noch in Europa Wohlstandsgenerierung wie bisher möglich sein. Kommt es zu geopolitischen Konflikten und nationaler Abschottung, ist es illusorisch, davon auszugehen, dass sich wirtschaftliche Beziehungen hiervon entkoppeln lassen könnten. Politische Entscheidungen können so Geschäftsmodelle beenden.
Schon aus diesem Grund ist es für Unternehmen nicht möglich, sich stets darauf zu beziehen, dass man als wirtschaftlicher Akteur quasi in einem abgeschlossenen System handeln würde. Als Russland 2014 die ukrainische Krim überfiel und annektierte, stoppte das Land als Reaktion auf westliche Sanktionen den Import von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus der EU. Ein kompletter Absatzmarkt ging verloren.
Wertebezogenes Wirtschaften
In Anbetracht des aggressiven Auftretens Russlands oder der Menschenrechtsverletzungen in China erwarten nicht zuletzt verschiedenste Stakeholder die Übernahme politischer Verantwortung. Der Verweis auf unterschiedliche politische Systeme reicht nicht aus, um Zwangsarbeit in Xinjiang, militärische Drohungen und staatlich angeordnete Morde zu rechtfertigen.
Unternehmen haben hinsichtlich ihrer Produkte innerhalb der geopolitischen Konkurrenz eine politische Verantwortung. Ihre Investitionen, ihre wirtschaftlichen Beziehungen und auch ihre Produkte stärken und stabilisieren politische Systeme. Dieser politischen Logik können sich Unternehmen nicht entziehen. Sie brauchen einen Wertekanon, entlang dessen sie sich im globalen Spannungsfeld zwischen den Systemen positionieren. Je stärker die Konkurrenz zwischen den verschiedenen (Werte-)Systemen ist, desto höher ist auch die Verantwortung von Unternehmen, die proklamierten Werte in ihrem Handeln abzubilden.
Ein jüngeres Beispiel dafür hat Richard Branson, britischer Unternehmer und Gründer der Virgin Group, geliefert. In einem Blogbeitrag hat er Ende Januar seine Sorge vor einer Eskalation des Konflikts an der ukrainischen Grenze geäußert. Er äußerte aber nicht nur seine Furcht vor einer militärischen Auseinandersetzung, sondern wies die Verantwortung Russland zu. Nachdem er bereits 2014 gemeinsam mit anderen Wirtschaftsführern für eine friedliche Einigung zwischen der Ukraine und Russland geworben hatte, äußerte er sich nun so:
„For business leaders, this is the moment to come together and stand up for Ukraine’s sovereignty. Even if it comes at a price, all of us should send a clear message that unilateral aggression is always unacceptable, and that the global business community will support the full range of sanctions against any nation that seeks to violate the sovereignty of another.“
Ein solch klares Bekenntnis mag für jemanden in Bransons besonderer Situation einfacher zu machen sein als für die meisten anderen Wirtschaftsentscheider. Nichtsdestotrotz zeigt es auf, dass sich unternehmerische Akteure nicht zwangsläufig aus (geo)politischen Themen heraushalten müssen.
Die bequeme Trennung von Wirtschaft und Politik wird im Wettstreit der politischen Systeme unhaltbar. Während von der einen Seite Rufe nach einem Ende der Zusammenarbeit mit autoritären Regimen kommen, droht von diesen ein Importstopp, sollte man sich zu sehr gegen sie positionieren. Unternehmen müssen zunehmend Ressourcen aufwenden, um in diesem Spannungsfeld zu navigieren.
Resilienz gegenüber geopolitischen und reputativen Krisen
Die Integration geopolitischer Entwicklungen muss daher auf zwei Ebenen erfolgen. Sie muss unternehmerische Risiken durch den Wegfall von Absatzmärkten oder die Störung von Lieferketten genauso umfassen wie reputative Risiken durch die Stabilisierung systemischer Konkurrenten, die anderen eben jene Rechte und Freiheiten verwehren, die für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen grundlegend sind.
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Dr. Nils Napierala ist Account Supervisor bei FleishmanHillard Germany. Er ist Teil des Corporate Reputation Teams, mit dem er bereits 2021 als selbstständiger Kommunikationsberater zusammenarbeitete. Dr. Nils Napierala unterstützt Unternehmen dabei, sich hinsichtlich gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen zu positionieren und die Erwartungen...
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