BeReal – ein neues Social-Network für Authentizität: relevant oder Rohrkrepierer?

von
Gulnara Valieva

Gulnara Valieva

Das neue soziale Netzwerk BeReal aus Frankreich, mit dem man Fotos nur einmal am Tag zu einer bestimmten Uhrzeit und ohne Bearbeitung veröffentlichen kann, gewinnt schnell an Popularität. Eine Sehnsucht nach filterloser Authentizität treibt die Nutzer:innen an, ihr „wahres Leben“ auf Zuruf zu teilen. Doch: Wird sich diese Idee durchsetzen – oder versickert der Trend genauso schnell, wie er kam?

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Worum geht’s bei BeReal?

Die wesentliche Idee der Anwendung ist wie folgt: Jeder Nutzer erhält zu einem bestimmten Zeitpunkt (den er vorher nicht kennt und der sich täglich ändert) eine Push-Benachrichtigung mit den Worten „It’s time to BeReal“.

Ab dann bleiben genau zwei Minuten, um zwei Fotos zu machen und hochzuladen: je eines auf der Rück- und der Frontkamera.

Außerdem sehen die Nutzer:innen ihr Gesicht nicht, wenn sie das Foto machen – es wird nur im fertigen Bild angezeigt, das nicht mehr bearbeitet werden kann.

„Time to BeReal“ kann einen beim Arbeitstreffen, unter der Dusche oder auch beim Morgenkaffee erwischen – Benachrichtigungen werden immer zufällig gesendet.

Gleichzeitig gibt es in BeReal keine Filter und Retusche, man kann die Fotos nur schnell nebenbei aufnehmen.

Da es schwierig ist, in zwei Minuten ein kunstwürdiges Motiv zu finden, ein Licht zu setzen oder den perfekten Winkel zu finden, teilen Menschen oft Fotos ihrer Haustiere oder Zoom-Meetings in der App.

Authentisch, immer und überall

In Frankreich waren die Posts von BeReal ziemlich riskant, einige posteten Beerdigungsfotos, andere enthüllten Aufnahmen vom Duschen.

Derzeit blockiert die Plattform Benutzer:innen für solche Inhalte nicht.

Ignoriert der Empfänger die Benachrichtigung oder hat einfach keine Zeit, kann er nicht sehen, was die Freunde heute gepostet haben.

Der Feed wird jeden Tag auf null zurückgesetzt, damit nicht endlos gescrollt werden muss wie in anderen sozialen Netzwerken mit Bildern.

Während BeReal schon 2019 an den Start gegangen ist, gewann die App jedoch erst in diesem Jahr zusehends an Popularität. Auslöser waren Videos, die auf dem amerikanischem TikTok viral gingen.

BeReal selbst schreibt den Erfolg vornehmlich der Mundpropaganda zu.

Auch relevant in Deutschlands Social-Media-Ökosystem?

Trotz des eher einfachen Funktionsumfangs von BeReal gewinnt die App täglich an Popularität. Laut dem App-Marktforschungsunternehmen Apptopia wurde die App im Dezember 2019 eingeführt, aber 65 % ihrer gesamten Downloads fanden in diesem Kalenderjahr statt. Seit Jahresbeginn sind die monatlich aktiven Nutzer:innen um 315 % gewachsen.

Unter den Ländern, in denen die Anwendung am häufigsten heruntergeladen wird, liegt Frankreich an der Spitze (27,2 % aller Downloads), gefolgt von den Vereinigten Staaten.

BeReal ähnelt in seiner Funktionalität anderen sozialen Netzwerken mit Schwerpunkt auf Bildern, hat jedoch gerade bei der Generation Z (10 bis 25 Jahre) mit der Aufforderung, „real“ und ohne Filter und Retusche „ganz du selbst“ zu sein, große Popularität erlangt.

Daher gibt es im Gegensatz zu Instagram fast keinen Glamour und keine sichtbare Inszenierung.

Wenn Facebook wie eine Zeitung mit Artikeln und Leserbriefen, Instagram wie ein Magazin mit Hochglanzfotos und TikTok wie Fernsehen ist, dann ist BeReal vielleicht die digitale Version eines lockeren und kurzen Treffens mit einem Freund im Supermarkt oder auf dem Weg zur Arbeit.

In seiner Spontaneität ist BeReal eher eine Alternative zu Instagrams Stories oder Snapchat, weil die Bilder nur für 24 Stunden online sind. Deshalb lohnt es sich nicht, darauf zu wetten, dass BeReal Instagram verdrängen oder ersetzen könnte.

Konzept ohne roten Faden

Noch sind die Inhalte und Funktionen zu unterschiedlich. Es ist jedoch möglich, dass die App ihre eigene Dynamik t entwickelt – oder das Nutzerinteresse schwindet bald wieder, wenn der Reiz des Neuen verflogen ist.

Zurzeit fehlt es BeReal an Einfluss in der Social-Media-Revolution. Bislang finden sich relativ wenige Nutzer auf der Plattform. Auch für Influencer ist das Netzwerk wenig interessant. Eine App, die nur einmal am Tag aufgerufen wird, ist nicht unbedingt das, wovon Werbetreibende träumen.

Hinzu kommt, dass die Technik wackelig ist: Laut der Datenanalyseplattform Apptopia nahmen in den ersten beiden Juliwochen die negativen Bewertungen von BeReal in Bezug auf Leistung und Fehler um 254 % zu.

Im Mai machten Bewertungen, in denen „negative“ oder „gemischte“ Leistung und „Bugs“ erwähnt wurden, 56,4 % aller Bewertungen aus.

Laut der Datenanalyse von data.ai beträgt die Anzahl der Benutzer:innen, die die App in den ersten sieben Tagen löschen, 50 %. Nach 30 Tagen steigen diese Zahlen deutlich an, 65 % der Nutzer:innen löschen die BeReal-App.

Relevanz für die Unternehmenskommunikation

Wenn es BeReal nicht gelingt, die Funktionalität zu erweitern und die Fehler zu beheben, könnte sich hier das Schicksal von Clubhouse wiederholen – dem Hit des vorletzten Jahres, als Nutzer in Voice-Chats kommunizierten.

Drei Monate nach ihrem kometenhaften Aufstieg während der Pandemie flog die App aus der Top der heruntergeladenen Dienst-Apps.

Es bleibt abzuwarten, wie viele Menschen die inszenierte Welt von Instagram für eine neue Realität verlassen werden. Manch einem mag die Darstellung des gewöhnlichen Alltags schnell langweilig erscheinen.

Andererseits wünschen sich Konsument:innen zunehmend authentische Einblicke in Markenwelten und hinter die Kulissen von Unternehmen.

Tatsächlich kann eine so ungefilterte Darstellung allein aus Gründen des Datenschutzes zum Problem werden – wenn beispielweise aus der Produktion oder aus Meetingräumen gepostet wird.

Die kurze Zeitspanne lässt zudem wenig Raum zum Nachdenken – da kann dann manches ungefiltert gepostet werden, was nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist.

Daher das Fazit: Als Spielerei für Social-Kommunikations-Affine ist das Konzept etwas Neues und durchaus nicht uninteressant.

Eine aktuelle und unmittelbare Relevanz für die Unternehmenskommunikation könnte es aber allenfalls für Corporate Ambassadors haben – und auch das nur mit der notwendigen Sensibilisierung für rechtliche Fragen.

 

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