Achtung, Vorurteile!
Im Zuge der Vergabe des internationalen Lufthansa Etats wurde von der siegreichen Agentur der Eindruck vermittelt, dass sogenannte maßgeschneiderte Agenturnetzwerke den bestehenden global operierenden Netzwerken an Expertise und Flexibilität eigentlich überlegen seien. Auch habe man zum besseren Management der beteiligten Agenturen Steuerungseinrichtungen geschaffen, die sonst eher unüblich seien. Doch Achtung bei Pauschalisierung und dem Aufwärmen von Vorurteilen – ganz so einfach ist die Sache bei genauerer Betrachtung nicht.
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Das beste Netzwerk ist im Pitch zunächst immer erst einmal eine theoretische Größe. Ähnlich wie beim Fußball liegt auch bei internationalen Agentur-Accounts die Wahrheit auf dem Platz. Und da gibt es einige nicht zu unterschätzende Fallstricke, die erst in der täglichen Arbeit sichtbar werden.
1. Qualität der beteiligten Agenturen
Die Agentur mit der jeweils besten Expertise in einem Bereich in einem bestimmten Markt hat normalerweise bereits einen Top-Kunden aus ebendiesem Bereich. Ansonsten könnte sie kaum beanspruchen, die beste zu sein. Diese Konfliktsituation reduziert die Anzahl der in Frage kommenden Partner normalerweise drastisch. Sicherlich gibt es Agenturen, die auch Wettbewerber gleichzeitig bedienen. Allerdings sind die Compliance-Hürden dafür oft hoch und überfordern leicht kleinere Agenturen mit Blick auf Ressourcen und Infrastruktur.
Die besten Agenturnetzwerke verfügen in den einzelnen Märkten in der Regel über Standorte mit signifikanter Größe und breit aufgestellter inhaltlicher und personeller Erfahrung. Die Frage der Expertise stellt sich daher eher selten – und wenn, dann ist es durchaus üblich auch mal komplette Teams von anderen Agenturen abzuwerben, um die notwendige Verstärkung punktuell zu erzielen.
Bei den Netzwerken sind speziell auf die Kunden zugeschnittene, individualisierte Agenturmodelle schon lange Praxis. Diese sind hochflexibel und passen sich immer wieder den veränderten Herausforderungen an. Denn nicht selten werden Pitch-Szenarien sehr schnell von der Realität kassiert. Die Zeit für eine langwierige Suche nach neuen Agenturen besteht dann eher selten. So sind wir zum Beispiel mit unserem eigens kreierten One Voice Setup seit vielen Jahren sehr erfolgreich für ein global führendes holländisches Technologieunternehmen tätig.
2. Starre und flexible Führung
Agenturen können nur dann am Markt erfolgreich sein, wenn sie sich sehr flexibel auf wechselnde Bedingungen und Kundenanforderungen einstellen. Das gilt ganz besonders für global operierende Netzwerke, die einen beträchtlichen Teil ihres Geschäfts mit internationalen Accounts bestreiten.
Bei FleishmanHillard in Deutschland sind gut 50 Prozent Netzwerkkunden. Dabei operieren wir sowohl als Teil des Netzwerks (Spoke) als auch als Lead (Hub). Trotzdem machen unsere internationalen Netzwerkkunden deutlich weniger als ein Drittel am Gesamtumsatz in Deutschland aus. Diese Zahl zeigt: auch Ländergesellschaften internationaler Netzwerke sind nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn sie die nationalen Märkte eigenständig entwickeln und die dazu notwendigen Entscheidungen lokal treffen. Nicht zufällig gehören auch in Deutschland einige Netzwerkagenturen zu den erfolgreichsten am Markt.
3. Finanzieller Einsatz und kommunikativer Ertrag
Die Suche nach einer Agentur in unterschiedlichen Märkten ist oftmals getrieben von dem Wunsch der Kunden nach konsistenter einheitlicher Kommunikation und inhaltlicher Führung. Häufig sind die inhaltlichen Vorgaben starr oder es werden sogar zentrale Inhalte in die jeweilige Landessprache übersetzt und höchstens minimal adaptiert. Geld für eigene lokale Aktionen ist oft nicht vorhanden. Die Reportings und Abstimmungsschleifen sind massiv, die Budgets sportlich, häufig minimalistisch. Was für den Hub noch lukrativ sein mag, wird für die ausführenden Agenturen in den Ländern oftmals zu einem Overservice-Grab. Bei isolierter Betrachtung sind Sollbruchstellen vorprogrammiert. Anderes ergibt sich, wenn – wie in einem Netzwerk – die Zusammenarbeit langfristig und über zahlreiche Accounts funktioniert. Nach dem Prinzip des „do ut des“ ist wer heute ausführt morgen im Lead oder hat für später „noch was gut“.
Gleichzeitig ist dies auch einer der größten Vorteile für die Kunden global operierender Agenturen. Aufgrund der langjährigen auch persönlichen Beziehungen der einzelnen Agenturstandorte und -manager untereinander kann die Zusammenarbeit – durch bestehende und immer wieder verbesserte Prozesse, Abläufe, Standards und Buchhaltung – einfacher und effizienter organisiert werden. Durch eine gelebte Agenturkultur können Themen unprätentiös angesprochen und gelöst werden – egal, ob in China, Frankreich oder Spanien.
Meine langjährige Erfahrung in Managementfunktionen bei inhaber- und netzwerkgeführten Agenturen hat vor allem immer wieder eins gezeigt: Erfolgreiche internationale Kundenarbeit ist eine Kombination aus persönlicher Chemie, inhaltlicher Kompetenz, großer Leidenschaft, fairer Budgets und exzellenter, grenzenloser Administration. Die professionell geführten globalen Netzwerke bieten genau dies seit vielen Jahrzehnten.
Das soll nicht heißen, dass für bestimmte internationale Accounts nicht auch andere Konstrukte funktionieren können. Achtung ist nur geboten bei Pauschalisierungen – auch wenn diese aus Euphorie geschehen. Den „match made in heaven“ gibt es nur in der Theorie – entscheidend ist auf dem Platz.
Die Erstveröffentlichung erfolgte im PR-Journal am 30.01.2019.
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Hanning Kempe ist seit 2012 CEO von FleishmanHillard in Deutschland. Mit über 25 Jahren in der Kommunikationsbranche ist er ein gesuchter Ratgeber für Themen wie Dialog Management, Unternehmensstrategie, Unternehmenskommunikation, Change-und Krisenkommunikation sowie Issues Management. Sein Schwerpunkt liegt auf den Branchen...