Haltung zeigen: Außenpolitik als neues Reputationsrisiko

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Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist in vielerlei Hinsicht eine Zeitenwende. Tausende Unternehmen in Deutschland standen und stehen seit dem 24. Februar vor einer schwierigen Frage: Sollen wir das Russlandgeschäft vollständig aufgeben oder halten wir die Firmenpräsenz im Land aufrecht? Doch auch ohne direkte Verbindungen zu Russland dürften sich viele Geschäftsleitungen in dieser Krise zum ersten Mal mit Reputationsrisiken konfrontiert sehen, die unmittelbar aus dem außenpolitischen Treiben eines nicht-westlichen Regimes hervorgehen.

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Energie – der Ursprung deutsch-russischer Handelsbeziehungen

Deutsch-russische Energiegeschäfte sind das Fundament aller Handelsbeziehungen zwischen beiden Staaten. Westdeutsche Unternehmen spielten von Anfang an eine Schlüsselrolle bei der Erschließung russischer Energievorkommen. Was mit Anlagenbau in kleinem Stil anfing, wurde zu einer engen und umfassenden Energiepartnerschaft.

Bereits Ende der 1980er-Jahre deckten Importe aus der UdSSR etwa die Hälfte des Gasbedarfs der BRD. Auch die DDR war maßgeblich von sowjetischen Energieimporten abhängig: Die UdSSR lieferte jahrzehntelang zwischen 80 und 90 Prozent des gesamten Rohölbedarfs des Landes. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wuchs das gesamte Handelsvolumen zwischen Europa und Russland kräftig, dennoch blieb das Energiegeschäft der treibende Faktor.

Russland: international geächtet und zuverlässiger Handelspartner zugleich

Bemerkenswert dabei ist, dass Russland für seine Missachtung völkerrechtlicher Normen immer wieder öffentlichkeitswirksam zum Paria der internationalen Gemeinschaft deklariert wurde, der Handel zwischen Europa und dem östlichen Nachbarn aber dennoch florierte.

Weder der Angriff auf Georgien noch die Krim-Annexion oder die absichtliche Destabilisierung der Ost-Ukraine sowie nicht zuletzt der militärische Schulterschluss mit Bashir Assad haben daran rütteln können. Russische Exporte in die Europäische Union nahmen zwar in den beiden Jahren nach der Krim-Krise ab, wuchsen aber danach bis zuletzt kräftig. So erreichte die europäisch-russische Handelsbilanz in den vergangenen zehn Jahren nie einen positiven Wert.

Die Energieabhängigkeit der EU von Russland nahm seit der Einverleibung der Krim drastisch zu – die Abhängigkeitsrate bei Kohle verdoppelte sich sogar.  Auch in Deutschland spüren wir dies: 2021 beruhte knapp ein Drittel des Primärenergieverbrauchs auf Erdgas, über die Hälfte davon lieferte Russland. 2020 war Deutschland mit großem Abstand Hauptabnehmer russischen Erdgases, Italien landete auf Platz zwei.

Auch umgekehrt war Deutschland 2021 der wertvollste Handelspartner in der gesamten EU für Russland. Das betrifft sowohl Ein- als auch Ausfuhren: Insbesondere bei den europäischen Exporten in Richtung Russland kam Deutschland mit großem Abstand auf den ersten Platz.

Reset der Handelsbeziehungen

Der Angriff auf die Ukraine beendet nun schlagartig diese langjährige Handelspartnerschaft und gibt den entscheidenden Impuls für einen neuen politischen Konsens in Europa. Vor allem russische Energieimporte sollen so schnell wie möglich reduziert und mittelfristig vollständig gestoppt werden, da diese die Kriegskasse des Kremls maßgeblich finanzieren.

Dieser Konsens schlägt sich auch in den Sanktionsmaßnahmen der EU nieder, die seit Februar beschlossen wurden. Was den Energiesektor betrifft, konnte man sich überraschend zügig auf ein Kohleembargo einigen, obwohl die gesamteuropäische Abhängigkeit von Russland bei diesem Energieträger noch am größten ist. Darüber hinaus haben die EU-Außenminister:innen zuletzt den Löwenteil aller Ölimporte gestoppt. Auch neben Energiegeschäften haben die fünf umfangreichen Sanktionspakete der EU die Aktivitäten europäischer Unternehmen in vielen Geschäftszweigen sowie Investitionsprojekten in der russischen Föderation erst einmal gestoppt – Ausgang ungewiss.

Unternehmensrisiko Außenpolitik

Viele Beobachter zeigten sich von den geopolitischen Ereignissen der vergangenen Monate überrascht, sogar überrumpelt. Für viele Entscheider:innen in Unternehmen bestand die Herausforderung darin, eine Reaktion auf das außenpolitische Treiben eines nicht-westlichen Regimes zu finden, das die eigenen Geschäftsaktivitäten massiv beeinträchtigt. Die unmittelbare Nähe des Krieges zu Europa, sein brutaler Charakter sowie die konzertierte politische Reaktion in Form umfassender Sanktionspakete geben dem Konflikt eine neue, geradezu historische Dimension.

Sämtliche Unternehmen müssen nun abwägen, ob sie ihr Russlandgeschäft aufgeben oder nicht. Ein „Aussitzen“ der Krise wie in Zeiten der Krim-Annexion ist diesmal keine Option. Dafür sind die notwendigen politischen Rahmenbedingungen für eine Normalisierung der Beziehungen auf absehbarer Zeit einfach nicht gegeben.

Unternehmerisches Handeln wird immer stärker von Verbraucher:innen, aber auch von Angestellten, Businesspartnern und anderen Stakeholdern auf seine soziale, moralische und ökologische Auswirkungen geprüft. Das bedeutet, dass Firmen mit Russlandgeschäft neben unmittelbaren Risiken wie hohen Abschreibungen im schlimmsten Fall Enteignungen oder Gefahren für Mitarbeiter:innen vor Ort auch Reputationsrisiken in anderen Regionen in ihre Überlegung mit einbeziehen müssen.

Die Mitteilung von Ritter Sport etwa, das Russlandgeschäft nicht aufgeben zu wollen, hat zu negativen Schlagzeilen und Boykottaufrufen geführt. Vor allem auf Social Media wurde das Unternehmen schnell zum Symbolbild der gewissenlosen Geldgier. Der reputative Schaden für die Marke Ritter Sport ist beträchtlich.

Doch es wäre falsch, daraus abzuleiten, dass Reputationsrisiken ausschließlich B2C-Firmen betreffen. Auch B2B-Unternehmen müssen in dieser Krise auf ein „wasserdichtes“ Reputationsmanagement bedacht sein. So könnte ein Festhalten am Russlandgeschäft den Zugang zur Finanzierung auf den Kapitalmärkten für laufende Projekte oder neue Investitionen deutlich erschweren – selbst wenn neue Projekte keinerlei Bezug zu Russland aufweisen. Auch den eigenen Shareholdern wird die Unternehmenspositionierung (oder das Fehlen einer solchen) nicht entgangen sein, wenn sie ihr Investmentportfolio neu sortieren.

Außerdem können Beziehungen zu sämtlichen Stakeholdern wie politischen Entscheidungsträger:innen und Fachverbänden, aber auch zu Journalist:innen auf dem Spiel stehen. Informationen darüber, welche Unternehmen sich (bisher) nicht aus Russland zurückgezogen haben sind öffentlich zugänglich. So lässt die Liste der Yale Universität auf einen Blick erkennen, welche Firmen aktuell ihr Geschäft beendet haben und welche nicht. Daten zu mehreren hundert deutschen Firmen sind dort frei verfügbar und werden laufend aktualisiert. Neue Gesprächspartner könnten solche Erkenntnisse zum Anlass nehmen um Firmen, die als problematisch wahrgenommen werden, ganz zu meiden.

Der Ukraine-Krieg hat somit außenpolitische Faktoren als prominentes Reputationsrisiko in den Fokus rücken lassen, denn er zwingt Unternehmen, öffentlich Haltung zu zeigen. Auch bei künftigen geopolitischen Krisen spricht vieles dafür, dass Stakeholder eine klare Haltung zu kriegstreibenden Regimes verlangen werden, auch wenn Firmen keine unmittelbare Präsenz in dem jeweiligen Land haben.

Wie Public Affairs helfen kann

Ein politisch informiertes Reputations- und Risikomanagement ist in einer solchen schwierigen Lage von großem Wert. Ein reguläres, kanalübergreifendes Monitoring der öffentlichen Meinung und der wichtigsten Stakeholder und Zielgruppen wie Kund:innen, Zulieferer und Wettbewerber ist eine wertvolle Orientierungshilfe bei schwierigen Unternehmensentscheidungen. Dadurch können reputative Risiken besser eingeschätzt und böse Überraschungen vermieden werden.

Außerdem hilft eine gute Public Affairs-Arbeit dabei, diverse Handlungsoptionen zu skizzieren. Für jedes Szenario wird unter Betrachtung der politischen Rahmenbedingungen sowie der öffentlichen Meinung die möglichen Reputationskosten transparent gemacht.

Nicht zuletzt unterstützt Public Affairs die Unternehmen dabei, ein Messaging für alle Handlungsszenarien zu entwickeln. Diverse Zielgruppen operieren mit unterschiedlichen Erwartungen. Das Messaging muss daher an die jeweiligen Zielgruppen angepasst werden.

All dies kann helfen, Situationen zu verhindern, wie sie beispielsweise der Konsumgüterhersteller Henkel erlebte: Das Unternehmen wollte das Geschäft in Russland vorerst nicht aufgeben – mit der Begründung, dass man essenzielle Produkte des täglichen Bedarfs anbiete. Nur zwei Wochen später zog sich Henkel unter starkem öffentlichem Druck dann doch aus dem russischen Markt zurück. Deshalb muss Unternehmenskommunikation in Krisenzeiten konsistent, belastbar und vor allem glaubwürdig sein.

 

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  • Max Hermus

    Seit März 2022 verstärkt Max Hermus als Senior Account Executive das Berliner Public Affairs-Team von FleishmanHillard. Dabei berät er Unternehmen und Verbände, vor allem aus dem Energie- und Klimasektor. Vor seiner Tätigkeit bei FleishmanHillard arbeitete Max drei Jahre als wissenschaftlicher...

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