Wenn Konsumenten im Ernährungsdschungel verloren gehen – und wie Unternehmen darauf reagieren können

„Du bist, was du isst!“ Wie oft ich diese Aussage wohl zuletzt gehört oder gelesen habe? Ich vermute: ziemlich oft – und das mag nicht nur meiner Profession als Food Lead bei FleishmanHillard geschuldet sein. Auch wenn dieser Satz auf den ersten Blick recht trivial daherkommt, sollte er nicht unterschätzt werden. Gibt der Ausspruch doch eine Realität wieder (oder zumindest einen Teilausschnitt davon), bei der Kaufentscheidungen mehr und mehr zu einer sinnstiftenden Handlung werden. Unternehmen aus dem Lebensmittelbereich müssen verstärkt auf dieses neue, wertegetriebene Konsumverhalten reagieren, sich transparenter aufstellen und dabei einen Mehrwert für Kunden, Gesellschaft und Umwelt schaffen.

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Warum wird einkaufen immer komplizierter?

Wir sind also, was wir essen. Ein Versuch einer ersten, ganz persönlichen Annäherung: Ich esse kein Fleisch, liebe aber Rohmilchkäse, Buttercroissants und wachsweiche Eier im Glas. Per definitionem bin ich also Ovo-Lacto-Vegetarierin. Da ich allerdings hin und wieder Fisch esse, gehöre ich wohl doch eher ins Lager der Pescetarier. Damit aber nicht genug! Im Idealfall soll nämlich alles, was bei mir auf dem Teller landet, aus biologischer Landwirtschaft stammen. Gleichzeitig will ich aber auch regionales Handwerk und traditionelle Herstellung bewahren und unterstützen. Stellt sich also die Frage: Käse und Brot von lokalen Produzenten beziehen – auch wenn sie ohne Bio-Zertifizierung auskommen? Wie schaut es im Winter mit frischen Bio-Heidelbeeren aus Chile aus – kaufen oder boykottieren? Warum essen wir plötzlich alle Chia-Samen – obwohl geschrotete Leinsamen doch die gleichen ernährungsphysiologischen Vorteile aufweisen? Und was mache ich, wenn es abends einfach mal wieder schnell gehen muss und der Kühlschrank leer ist? #storyofmylife

Nur um es vorwegzunehmen: Nein, ich leide nicht an Orthorexie! Ich beschäftige mich einfach nur gerne mit gutem Essen und einer gesunden Ernährungsweise – so wie jeden Tag Millionen anderer Menschen auch. Wie kann es dennoch sein, dass (wir) Verbraucher trotz somatischer Intelligenz und der schier unendlichen Fülle von Nachrichten und Informationen im Supermarkt immer häufiger ratlos und überfordert sind – verbunden mit dem Gefühl, im unübersichtlichen Ernährungsdschungel verloren zu gehen? Und da Essen mittlerweile deutlich mehr ist, als das Stillen eines Grundbedürfnisses, wünschen wir uns mehr Transparenz, Ehrlichkeit und verlässliche Aussagen zu unseren Lebensmitteln: Woher kommen die Rohstoffe? Wie und unter welchen Bedingungen werden sie verarbeitet? Warum wird dabei so viel Zucker, Salz oder Fett verwendet? Und was ist eigentlich (noch) gesund?!

Unternehmen, macht Euch endlich transparent(er)!

Immer mehr Unternehmen reagieren auf dieses neue Verbraucherbedürfnis und starten eigene Initiativen – losgelöst vom Gesetzgeber. Der Discounter Lidl führte beispielsweise im April 2018 als erster Lebensmittelhändler einen vierstufigen Haltungskompass für Frischfleischprodukte seiner Eigenmarken ein. Kunden können seither auf einen Blick erkennen, ob das abgepackte Frischfleisch von Tieren aus gesetzeskonformer Stallhaltung oder von einem Bio-Betrieb stammt.

Mit diesem Vorstoß brachte der Discounter auf einen Schlag mehr Transparenz in die Tierwohldebatte – und setzte gleichzeitig eine ganze Branche unter Zugzwang. Während sich im Januar 2019 der Lebensmitteleinzelhandel auf eine einheitliche Kennzeichnungspflicht geeinigt hat, folgte das Bundeslandwirtschaftsministerium erst im Februar 2019 mit der Vorstellung eines freiwilligen staatlichen Tierwohl-Labels.

Wie andere Lebensmittelhersteller hat auch REWE beschlossen, den Zuckergehalt in den Produkten der Eigenmarken sukzessive zu verringern. Allerdings sind die Kölner dabei einen – aus meiner Sicht sehr spannenden – Schritt weitergegangen als die Wettbewerber: sie haben ihre Kunden nämlich aktiv eingebunden und einfach darüber abstimmen lassen, wie viel – oder besser gesagt: wie wenig – Zucker künftig in einem Schoko-Pudding oder Schoko-Knusper-Müsli stecken soll. Und das Ergebnis ist mindestens genauso spannend: 45 Prozent der Teilnehmer votierten 2018 für den Pudding mit 30 Prozent weniger Zucker, beim Müsli sprachen sich im Frühjahr 2019 sogar 61 Prozent dafür aus, dass die neue Rezeptur mit 30 Prozent weniger Zucker auskommen soll.

Hätte REWE den Zuckergehalt der beiden Produkte mit einem Mal um 30 Prozent reduziert, wäre der Aufschrei vermutlich groß gewesen – und REWE in Folge auf den weniger süßen Puddings und Müslis sitzen geblieben. Und ganz ehrlich: Ohne es selbst probiert zu haben, könnte ich mir vermutlich auch nicht vorstellen, wie (oder vielmehr: ob) ein Schoko-Pudding mit 20, 30 oder gar 40 Prozent weniger Zucker überhaupt schmecken soll. Ich meine, wir sprechen von einem cremigen, herrlich süßen Schoko-Pudding – und nicht von Magerquark!? Manchmal braucht es aber genau diese „Nudges“, um Gewohntes zu hinterfragen („Schmeckt das überhaupt?“) und neue Verhaltensweisen anzustoßen („Oh wow, Schoko-Pudding geht auch mit weniger Zucker!“).

Ähnlich sieht es im Bereich der Nährwertkennzeichnung aus. Verbraucherschutzorganisationen fordern schon seit Jahren von der Industrie ein verpflichtendes Ampelsystem auf Lebensmitteln. Und während die Politik noch nach dem geeigneten Modell sucht, schaffen erste Unternehmen Fakten. Danone etwa kennzeichnet seit Februar 2019 die vor allem bei Kindern beliebten Fruchtzwerge mit dem sogenannten Nutri-Score. Unternehmensangaben zufolge sollen bis Jahresende 90 Prozent aller Milchfrischeprodukte von Danone mit der Nutri-Score-Kennzeichnung versehen sein. Anhand der fünfstufigen Bewertungsskala, die von grün bis rot reicht, können Verbraucher einfach erkennen, ob ein Lebensmittel eine günstige oder ungünstige Nährwertbilanz aufweist. Neben Danone setzen künftig auch Iglo und Bofrost auf den Nutri-Score als transparente Kennzeichnung für eine ausgewogene Ernährung.

Ob diese Bewertungsskala nun der Weisheit letzter Schluss ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Glaubt man allerdings Lebensmittelhändlern aus Großbritannien, wo es ein entsprechendes Ampelsystem auf freiwilliger Basis bereits seit 2013 gibt, zeigt sich ein klarer Trend: Kunden greifen häufiger zu Lebensmitteln mit einer grünen und somit „gesunden“ Kennzeichnung, während rot-gelabelte Produkte immer seltener im Einkaufskorb landen.

Essen wird sinnstiftend – und zwar über Generationen hinweg

Wie der im November 2018 von FleishmanHillard vorgestellte Gen Food Report zeigt, ist das Thema Essen bei neun von zehn Verbrauchern (91 Prozent) ein zentraler Bestandteil des persönlichen Wertekanons – und zwar generationsübergreifend. Mehr als ein Drittel der rund 2.000 Befragten (35 Prozent) definiert sich demzufolge sogar über die eigene Ernährung. Es überrascht daher auch nicht, dass laut Studie vier von fünf Personen (81 Prozent) der Überzeugung sind, sie könnten durch ihre Kauf- und Konsumentscheidung Einfluss auf das Angebot und die Herstellung von Lebensmitteln nehmen.

Was bedeutet das nun für die Lebensmittelindustrie, die auf immer besser informierte und wertegetriebene Verbraucher trifft? Ganz einfach: Unternehmen und Brands aus dem Lebensmittelbereich müssen stärker denn je die Werte der Konsumenten verstehen und nachvollziehen können, sie müssen Kunden zielgerichtet ansprechen und im Idealfall mit auf eine sinnstiftende Reise nehmen. Das gelingt, wenn Lebensmittel nicht mehr nur noch zweckdienlich sind, sondern Produkte und Marken einen klaren Mehrwert bieten. Ob verbesserte Gesundheitsaspekte, ein zusätzlicher Wellbeing-Nutzen oder ein ehrliches und weitreichendes Nachhaltigkeitsengagement – von Punkten wie diesen wird Erfolg im Lebensmittelbereich künftig immer stärker abhängen.

Vorschaubild: gopixa/istockphoto