Wokewashing: Warum Unternehmen gesellschaftliche Trends nur authentisch mitmachen sollten

Wokewashing

Vergangene Woche schaffte es eine Meldung auf die Titelseiten, wonach Audi in einem Prozess vor dem Landgericht in Ingolstadt um die Gendersprache im Unternehmen einen Kompromiss mit einem Mitarbeiter abgelehnt hatte. Der Kläger hatte sich durch einen entsprechenden Leitfaden in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt gefühlt.

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Unabhängig davon, ob derartige Themen vor Gericht geklärt werden können, wem das nutzt und wie es um die Kultur bei Audi bestellt sein muss, ist diese Auseinandersetzung die Manifestation eines Trends, der in vielen Unternehmen um sich greift – vom globalen Automobilriesen bis hin zur hippen Agentur:

Immer offensiver werden sozial- und gesellschaftspolitische Mainstream-Trends in Rekordzeit in die Unternehmenskultur eingebaut – und öffentlich manifestiert.

Die Bandbreite reicht dabei vom oben beschriebenen Leitfaden bis hin zur Unterzeichnung von „Vielfältigkeitschartas“ oder „Road to Zeros“ im Bereich CO2-Emmissionen.

Die Botschaft dabei ist meist plakativ und recht ähnlich: seht her, es ist zwar noch so viel zu tun, aber wir haben verstanden, wir sind vorne mit dabei!

Unabhängig von der Frage, wie sehr derartige öffentliche Bekenntnisse die interne Ernsthaftigkeit von Veränderung tatsächlich widerspiegeln, sollten aus kommunikativer Sicht zwei Punkte nicht aus den Augen verloren werden.

Wie kann Kulturwandel wirksam kommuniziert werden?

Zunächst ist zu fragen, inwieweit eine öffentlichkeitswirksam nach außen getragene (scheinbar) progressive Haltung tatsächlich positiv auf die Wahrnehmung und damit die Authentizität einer Marke einzahlt.

Die Antwort hierauf muss deutlich verhaltener ausfallen, als es der von vielen „gefühlte“ initiale Reflex oder die Vielzahl der Ankündigungen erscheinen lassen mögen.

So legt eine Studie der Columbia Business School nahe, dass die Äußerung politischer Haltung jenseits des Kerngeschäfts nicht unbedingt positive Markeneffekte erzeugt.

Sie hat vielmehr das Potenzial, diejenigen, die nicht konform gehen, nachhaltig zu demotivieren, während die Unterstützer im Gegenzug nicht zusätzlich motiviert werden.

Es wäre aber fahrlässig, dies als Plädoyer gegen eine klar definierte und kommunizierte sozial- und gesellschaftspolitische Haltung eines Unternehmens zu deuten.

Es sollte vielmehr als Aufforderung verstanden werden, sich einer weiteren wesentlichen Frage zu nähern.

Erst den authentischen eigenen Weg reflektieren und definieren

Inwieweit kann ein gesellschaftlich gewollter Wandel (und genau darum handelt es sich z.B. bei DE&I) nachhaltig mehrwertstiftend in Organisationen verankert werden und damit positive Reputationseffekte erzielen?

Die Antwort darauf ist so klar wie unspektakulär.

Nachhaltige Veränderung ist immer das Ergebnis eines komplexen kommunikativen Prozesses, der sich innerhalb einer Organisation in agilen, iterativen Foren manifestiert.

Dazu bedarf es sowohl eines klaren Commitments vonseiten des Managements als Taktgeber und Prozesstreiber als auch der Erkenntnis, dass Wandel nur über Zeit zu erreichen ist.

Die alleinige Formulierung von Vorgaben oder Leitfäden ist kontraproduktiv, wenn diese nicht als ganzheitliches Veränderungsprojekt gedacht und angelegt werden.

Zudem zahlt nicht jede gesellschaftliche Haltung eines Unternehmens automatisch auf dessen Markenwert ein.

Nur Mitmachen ist keine Lösung

Auch hier ist weniger manchmal mehr im Sinne einer authentischen Markenbildung gegenüber Zielgruppen, die einem scheinbar mehrheitsfähigen gesellschaftspolitischen Mainstream durchaus kritisch gegenüberstehen (Stichwort Wokewashing).

Bezogen auf die eingangs erwähnte Auseinandersetzung zwischen Audi und einem Mitarbeiter ist festzustellen, dass die Absicht, Diskriminierung durch die Einführung eines Gender-Leitfadens zu verhindern, sicher gut gemeint aber offensichtlich nicht gut gemacht war.

Das finale Urteil in diesem Fall soll am 19. Juli verkündet werden. Ein Ende der Auseinandersetzung wird es sicher nicht bedeuten.

Aber es wird hoffentlich die Einsicht befördern, dass scheinbare „Low Hanging Fruits“ manchmal auch ziemlich harte Nüsse sein können.

 

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  • Hanning Kempe

    Hanning Kempe ist seit 2012 CEO von FleishmanHillard in Deutschland. Mit über 25 Jahren in der Kommunikationsbranche ist er ein gesuchter Ratgeber für Themen wie Dialog Management, Unternehmensstrategie, Unternehmenskommunikation, Change-und Krisenkommunikation sowie Issues Management. Sein Schwerpunkt liegt auf den Branchen...

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