Transformation zwingt Unternehmen zur Neupositionierung

Die Corona-Pandemie hat Wirtschaft und Gesellschaft in einen Ausnahmezustand versetzt. Die vielfältigen Freiheitsbeschränkungen der Bürger und einschneidenden Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf durch die reemanzipierte Staatsgewalt haben die Zwangsmacht des Staates unmittelbar erlebbar gemacht und die politische Ökonomie tiefgreifend verändert.

Autor Sebastian Schwark

Der Begriff der Systemrelevanz gibt einen kleinen Vorschein auf die Fähigkeit moderner Gesellschaften zur totalen Mobilmachung – oder weniger martialisch ausgedrückt – der politischen Gesamtsteuerung, die nur noch wenige aus der Nachkriegsgeneration aus eigener Erfahrung kennen.

Wenn sich die Legitimität der Corona-Maßnahmen durch das Pandemiegeschehen ergibt, im Kern also der Erwartung, dass der Staat den Bürger schützt, wird es dennoch ein Zurück zum status quo ante nicht geben, auch wenn die unmittelbare Gefahr verzogen sein sollte.

Aus dem Bewusstsein der Bürger ist das Erlebte nicht mehr zu tilgen und so verändert sich das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat und zur Wirtschaft nachhaltig.

Ebenso wenig kann der Staat sich kurz- und mittelfristig aus den – keynesianisch begründeten – Konjunkturprogrammen und die Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf signifikant abmildern.

Dennoch ist die polemische Rede vom kommenden Corona-Maßnahmenstaat analytisch falsch.

Denn die Pandemie ist nur der Katalysator großer Veränderungsschübe, die schon lange vorher ihren Ausgangspunkt hatten und die auch ohne die unmittelbare Bedrohung von Leib und Leben ihre formende Kraft entwickelt hätten.

Krise beschleunigt Veränderung

Es ist nicht die Pandemie, die einen neuen Zustand schafft. Sie beschleunigt nur dessen Genese. Wir befinden uns in einer Zeit fundamentalen Wandels, den wir in analoger Begriffsbildung zu der großen Umwälzung, die Karl Polanyi für das 19. Jahrhundert herausgearbeitet hat, beschreiben können.

Diese neue große Transformation verändert das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend. Entscheidungsträger in Unternehmen und Verbänden müssen diese Veränderung verstehen und strategisch durchdenken, um ihr Wirtschaften neu zu bestimmen.

Ansonsten verlieren sie rapide an Relevanz im Markt und setzen die gesellschaftliche Akzeptanz ganzer Branchen aufs Spiel.

Analytisch sind vier Dimensionen voneinander zu trennen, die in der Realität auf vielfältige Art und Weise miteinander verschränkt sind:

Die ökologische Veränderung, getrieben vor allem durch die inzwischen fast universelle Anerkennung des Klimawandels als gesellschaftliche Herausforderung; die Digitalisierung aller Lebensbereiche, die vielleicht durch die Pandemie am gegenwärtigsten ist, sich aber vor allem an den „Taschencomputern,“ d.h. den Smartphones zeigt; die geopolitische Systemkonkurrenz, am offensichtlichsten am Wettlauf Chinas und der USA um globale Vorherrschaft zu erkennen; schließlich die Krise der Demokratie, die wir wohl am schärfsten am Erstarken der populistischen Bewegungen und Parteien an den Rändern des politischen Spektrums kennzeichnen können.

Der Wandel ist fundamental.

Unternehmen sind zum Wandel gezwungen

Larry Fink hat vor Kurzem in seinem jährlichen Brief an die CEOs darauf hingewiesen, dass Unternehmen, die heute den Wandel zu einer CO2-neutralen Gesellschaft verschlafen, keine Zukunft haben werden.

So richtig dies ist, der ökologische Wandel der Gesellschaft geht weit über die Linderung des Klimawandels hinaus. Bereits seit den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hinterfragt eine zunehmend breite soziale Bewegung, die die Folgen des menschlichen – und unternehmerischen – Handelns auf die Umwelt.

Der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas hatte diesen Gedanken auf einen ökologischen Imperativ zugespitzt, „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden,“ und damit eine Norm formuliert, die angesichts der Evidenz der Klimakrise umfassend auf Unternehmen bezogen werden wird.

Der Begriff des Anthropozäns bietet den politischen Rahmen dafür.

Wenn auch die Vermeidung klimaschädlicher Emissionen der Treiber bleiben wird (und dies für viele schon Herausforderung genug ist), müssen Unternehmen ihren gesamten ökologischen Fußabdruck mit neuer Konsequenz durchdenken und entsprechend handeln.

Im Gegensatz dazu scheint das Thema der Digitalisierung vielleicht schon greifbarer und weniger abstrakt. Schlagwörter wie Industrie 4.0 und Big Data sind in aller Munde und beschreiben große Prozess- und Analyseveränderungen und die damit einhergehenden neuen Geschäftspraktiken, -chancen und -risiken, die wir hier nicht en detail beschreiben müssen.

Der (Arbeits-)Alltag verändert sich rapide und nachhaltig

Im Zuge der Pandemie hat sich die Durchsetzung und Nutzung digitaler Technologie weiter beschleunigt: Zoom ist zum Gattungsbegriff avanciert. Die Umwälzung durch die radical technologies der Datenverarbeitung sind damit aber nur oberflächlich angesprochen.

Im Kern erleben wir, wie man kritisch zuspitzen könnte, die Kolonialisierung des Alltags durch digitale Technologien. Dadurch wird die Welterfahrung des Menschen als Gattung fundamental verändert:

Materialität, Entfernung, Zeit wandeln sich und wir beginnen erst zu verstehen, was das für unser Bewusstsein und den Alltag bedeutet.

Klar ist, dass Transparenz und Unmittelbarkeit Teil dieser Konsequenzen sind.

Entscheidungsträger in Unternehmen, die in aller Regel in der vordigitalen Welt ihrer prägenden Erfahrungen gemacht haben, müssen damit umgehen.

Wenn die Beschleunigung der Digitalisierung durch die Corona-Pandemie offensichtlich ist, so gilt auch, dass uns die Grenzen der Nationalstaaten und Wirtschaftsräume in ihrer Bedeutung vergegenwärtigt wurden.

Pandemie sorgt für neue Argumentierungen

Die territoriale Begrenzung unserer politischen Systeme ist auch deshalb besonders relevant, weil zunehmend die Erfolge – oder Misserfolge – im Management der Pandemie als Argument für bestimmte Staatsformen herangezogen werden.

Die Behauptung der Output-Legitimität autoritärer Staaten ist nicht neu, hat aber an vermeintlicher Evidenz gewonnen.

Im Hintergrund stehen die Versuche, autoritäre Praktiken, etwa die Unterdrückung der Uiguren in China, die zunehmend als genozidal gekennzeichnet wird, zu rechtfertigen.

Offene Gesellschaften sind dabei anfällig für aktive Unterwanderungsstrategien der Öffentlichkeit, wie spätestens seit den russischen Manipulationsversuchen der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 offenkundig ist.

Das zunehmend aggressive Auftreten der autoritären Regime gegenüber Demokratien führt zu einem grundlegenden geopolitischen Systemkonflikt, der auch wirtschaftlich, d.h. geoökonomisch, ausgetragen wird. Die Diskussionen um 5G und Nord Stream 2 sind dabei erst der Anfang. (Auch wenn die Pipeline schon seltsam aus der Zeit gefallen wirkt.)

Grundlegend geht es um Setzung von Standards, die Frage also, wer den Normen anderer folgen muss und wer die Normen setzt.

Wirtschaftsräume werden zu Großräumen und Unternehmen tun gut daran, sich auf das Ende der Globalisierung, wie wir sie aus dem späten 20. Jahrhundert kennen, vorzubereiten. Ebenso wie auf Nachfragen, wie man es zum Beispiel mit den Menschenrechten hält.

Wandel zwingt Demokratie aus Komfortzone

Zunehmend geraten auch unsere demokratischen Institutionen an ihre Grenzen. Die fast panischen Reaktionen der etablierten Parteien vor dem Populismus sind dafür ein Indikator.

Am schärfsten lässt es sich aber vielleicht am Rechtssystem ablesen, wo Rechtbegriffen wie Privatsphäre und der Unverletzlichkeit der Wohnung angesichts von Plattformökonomie und Nutzerverhalten die heutigen Problemstellungen für den demokratischen Rechtssaat nicht mehr annähernd fassen können und eher wie Relikte aus einer vordigitalen Zeit wirken.

Die Krisen der Demokratie sind aber nicht nur ein Anachronismus. Sie haben auch mit der zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichheit, weiterhin hohem Einwanderungsdruck, den vielfältigen Emanzipationsprozessen Benachteiligter und den Veränderungen der Öffentlichkeit zu tun.

Deutlich werden die Folgen für Unternehmen dann, wenn wir die Stürmung des Capitols in Washington am 6. Januar 2021 denken. Es sind nicht zuletzt Unternehmen, die Konsequenzen aus dem Aufstand gezogen haben.

Denn die demokratische Rechtsordnung ist ein unerlässlicher Pfeiler ihres Geschäftserfolges.

Die angerissenen Veränderungen radikalisieren die Bedingungen, unter denen wir wirtschaften und leben. Dies zu verstehen, die Chancen dieser Dynamiken zu erkennen, ihre Risiken richtig einzuschätzen und so den eigenen Wertbeitrag voranzubringen, ist die erste Managementaufgabe von heute.

Unternehmen müssen sich neu orientieren

Unternehmen müssen sich neu positionieren. Strategische Kommunikation treibt diesen Neupositionierungsprozess, da es die Perspektive der Gesellschaft ist, die am radikalsten die Triebfedern kennzeichnen kann.

Nachhaltiger Unternehmenserfolg braucht die gute Gesellschaft. Manche reden daher von Stakeholder Capitalism.

Wenn die Verantwortung der Unternehmensleitung darin besteht, Profit zu erwirtschaften, müssen die Voraussetzungen dieses Erfolges in Managemententscheidungen eingedacht werden. Wertschöpfung ist da, wo die Interessen von Anspruchsgruppen einbezogen sind; wo Reputation und Risiken systematisch gemanagt werden; wo Kritik anleitet, die eigene Position zu stärken; wo das unternehmerische Handeln heute die Bedingungen des Erfolges von morgen ebenso berücksichtigt, wie die Interessen von Investoren.

Angesichts der neuen großen Transformation gilt, Strategie und Kommunikation umfassend neu zu denken und in die Praxis umzusetzen.

 

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  • Dr. Sebastian Schwark

    Dr. Sebastian Schwark ist Partner und Senior Vice President bei FleishmanHillard Germany. Er leitet das Corporate Reputation Team und ist ein Experte für professionelles Reputationsmanagement. Sebastian Schwark unterstützt Unternehmen und Führungskräfte dabei, gesellschaftliche Fragen und Anforderungen der Stakeholder erfolgreich zu...

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