Facebook vs. Australien – Der Streit um die „Linksteuer“ aus Public-Affairs-Perspektive
Nach monatelangen Auseinandersetzungen mit der australischen Regierung griff Facebook Mitte Februar zum ultimativen Mittel und blockierte die Möglichkeit für Nutzer und Verleger, Inhalte von australischen Medien anzuzeigen oder zu teilen. Die Entscheidung erregte weltweit Aufsehen und befeuerte die politische Diskussion um die Markt- und Verhandlungsmacht von Big Tech. Doch was genau war passiert?
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Der News Media and Digital Platforms Mandatory Bargaining Code
Ein Gesetzesvorschlag der australischen Wettbewerbs- und Verbraucherkommission (ACCC – Australien Competition and Consumer Commission), der inzwischen vom australischen Parlament beschlossen wurde, sieht vor, dass marktbeherrschende Unternehmen, also solche Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe als Gatekeeper einer Branche fungieren, dazu verpflichtet werden, mit Nachrichtenunternehmen über eine Entschädigung für die Inhalte zu verhandeln, die auf ihren Plattformen erscheinen.
Wenn sich die Parteien nicht auf eine angemessene Entschädigung einigen können, sieht das Gesetz vor, dass ein unabhängiger Schiedsrichter den Preis für Nachrichteninhalte verpflichtend für beide Parteien festlegt.
In der Konsequenz bedeutet das, dass Google und Facebook sobald das Gesetz in Kraft tritt auf keine einzige Nachrichtenseite mehr verlinken dürfen, solange sie mit einer einzigen australischen Nachrichtenorganisation mit einem Jahresumsatz von >A$150k noch keine Vereinbarung abgeschlossen haben.
Warum dieses Gesetzesvorhaben aus Public-Affairs-Sicht so spannend ist
Während Google und Facebook ursprünglich die gleiche Taktik verfolgten – im vergangenen Jahr kommunizierten beide Unternehmen offen, dass sie möglicherweise zu drastischen Maßnahmen greifen müssten, sollte das Gesetz verabschiedet werden – trennten sich die Wege der beiden Tech-Giganten in den letzten Monaten.
Während Google auf die Verhandlungskarte setzte und im Vorgriff auf das Gesetz mehrere Vereinbarungen mit Medienverlagen einging, entschied Facebook sich für den Konfrontationskurs.
Warum? Während die Entscheidung von Facebook in der öffentlichen Diskussion vor allem unter Wettbewerbsgesichtspunkten diskutiert wurde – Stichwort Markt- und Verhandlungsmacht von Big Tech – geht es aus Sicht von Facebook und Google eigentlich um eine ganz andere, sehr grundsätzliche Frage:
Ist es Aufgabe der Plattformen für die Nachrichtenartikel bezahlen, die auf ihren Netzwerken geteilt werden?
In der Vergangenheit haben beide Unternehmen in Hinblick auf diese Frage wie auch bei der Frage nach der Verantwortung für Content-Moderation immer die gleiche Argumentation vorgebracht:
Sie seien nur Vermittler und dementsprechend für die Inhalte auf ihren Netzwerken nicht verantwortlich.
Intensive Diskussion durch unklare Verhältnisse
Durch die aufgeheizte Diskussion um die Markt- und Verhandlungsmacht von Big Tech hat sich der Druck in den letzten Jahren jedoch enorm erhöht. Das sehen wir auch im Framing der Akteure im Falle der Linksteuer in Australien:
Die ACCC begründet ihre Gesetzesinitiative ausschließlich mit wettbewerbsrechtlichen Argumenten.
In einer Sektoruntersuchung 2019 habe man festgestellt, dass ein Ungleichgewicht der Verhandlungsmacht zwischen digitalen Plattformen und Nachrichtenmedienunternehmen bestünde.
Nachrichtenmedienunternehmen seien nicht in der Lage, einen angemessenen Anteil an den Einnahmen auszuhandeln, die von den digitalen Plattformen generiert werden, und zu denen die zu dem die von den Nachrichtenmedienunternehmen erstellten Inhalte beitragen.
Staatliches Eingreifen sei daher notwendig vor dem Hintergrund der Bedeutung starker unabhängiger Medien für eine gut funktionierende Demokratie notwendig.
Facebook hingegen argumentierte entlang der gewohnten Argumentationslinie.
Was ist die Rolle der Kanalbetreiber?
Kern der Sache sei ein grundlegendes Missverständnis der Beziehung zwischen Facebook und den Herausgebern von Nachrichten. Es seien die Verleger selbst, die sich dafür entscheiden, ihre Geschichten in den sozialen Medien zu teilen oder sie anderen zum Teilen zur Verfügung zu stellen, weil sie einen Nutzen daraus ziehen.
Deshalb haben sie Schaltflächen auf ihren Seiten, die die Leser dazu ermutigen, zu teilen. Wenn diese auf einen Link klicken, der auf Facebook geteilt wurde, werden Sie von der Plattform auf die Website des Herausgebers weitergeleitet.
Auf diese Weise generierte Facebook im letzten Jahr etwa 5,1 Milliarden kostenlose Empfehlungen an australische Verlage im Wert von geschätzten 407 Millionen AU$ für die Nachrichtenbranche.
Auch Google hat diese Position in den Verhandlungen vertreten, sich jedoch gleichzeitig um darum bemüht, das regulatorische Risiko zu minimieren.
Wir haben es mit einer grundlegend unterschiedlichen Problembeschreibung zu tun!
Wenn man der ACCC Glauben schenkt, handelt es sich bei der Vergütung von Nachrichtenlinks um ein Wettbewerbsproblem, dass die Nachrichtenmedienunternehmen aufgrund der Markt- und Verhandlungsmacht von Google und Facebook nicht selbst lösen können.
Staatliches Eingreifen ist daher geboten. Facebook hingegen argumentiert, dass es sich gar nicht um ein Wettbewerbsproblem handelt, weil das Netzwerk lediglich für die Weitervermittlung von Inhalten genutzt wird und die Nachrichtenmedienunternehmen davon enorm profitieren.
Wandel im Werbe- und Informationskonsum
Wie Ben Evans, Tech Consultant und ehemaliger Risikokapitalgeber im Silicon Valley, darlegt, ist diese Diskussion nicht neu:
„Zeitungen hatten ein Oligopol der Aufmerksamkeit und ein Oligopol einer bestimmten Art von Werbereichweite, und das Internet hat beides beseitigt.
Die Menschen lesen viel mehr Dinge an viel mehr Orten und die Werbetreibenden haben viel mehr und bessere Möglichkeiten, und so sind die Werbeeinnahmen der Zeitungen um drei Viertel oder mehr zurückgegangen.
In der Zwischenzeit haben Google und Facebook riesige neue Anzeigengeschäfte im Internet geschaffen, die von den Anzeigenkunden bevorzugt werden, und einige Zeitungsunternehmen denken, dass sie auf die eine oder andere Weise etwas von diesem Geld bekommen sollten.“
Evans weist darauf hin, dass der Großteil der Werbeeinnahmen von Google und FB gar nicht von Dingen stammt, die früher in Zeitungen standen.
Viele ihrer Anzeigenkunden sind KMUs, die vorher kaum Werbung gemacht haben, während viele der Zeitungsanzeigenkunden zu Dingen gewechselt sind, die überhaupt nicht wie Anzeigen aussehen, wie zum Beispiel Zillow oder Zoopla, oder die Suchplatzierung auf Amazon.
Auf Google oder Facebook kommt nur ein verschwindend geringer Teil des Traffics tatsächlich von Nachrichten, und sehr wenig Werbung, und noch weniger mit viel Wert, erscheint neben den Nachrichten-Suchergebnissen.
Ein Anschauungsbeispiel für die Bedeutung von Frames in der politischen Kommunikation
Der Fall Facebook vs. Australien ist ein Anschauungsbeispiel für die Bedeutung von Frames in der politischen Kommunikation.
Denn trotz der beschriebenen inhaltlichen Argumente ist es Facebook im Fall der Linksteuer in Australien nicht gelungen, die Öffentlichkeit und die Politik von seiner Argumentation zu überzeugen.
Die Diskussion fokussierte sich stattdessen sowohl in Australien als auch in europäischen und deutschen Medien auf die Markt- und Verhandlungsmacht von Big Tech.
Durch die Beschreibung als Wettbewerbsproblem ist es der ACCC gelungen, den Druck auf Facebook und Google so zu erhöhen, dass diese Eingeständnisse gemacht und Vereinbarungen mit Nachrichtenmedienunternehmen angestrebt haben oder anstreben werden:
Nicht mal eine Woche nach Beginn der Blockade stimmte Facebook nach intensiven Verhandlungen mit der australischen Regierung zu, Nachrichtenlinks und Artikel für australische Nutzer wiederherzustellen.
Im Gegenzug bekam das Unternehmen mehr Zeit, um Vereinbarungen mit Verlegern abzuschließen und so Zwangszahlungen zu vermeiden.
Am 16. März gab das Unternehmen die erste Einigung mit News Corp bekannt.
Trend wird sich wahrscheinlich weltweit weiter fortsetzen
Die gefundene Lösung schafft einen Präzedenzfall. Facebook und Google werden aller Voraussicht nach und nach auf der ganzen Welt Vereinbarungen mit Nachrichtenmedienunternehmen abschließen müssen, um Geld für die Nachrichten zu bezahlen, die auf ihren Netzwerken geteilt werden.
Den Kampf um die Deutungshoheit in dieser Frage haben sie verloren.
Und auch sonst wird der Fall Australien Auswirkungen haben. Die Regulierung der Digitalplattformen ist das große digitalpolitischen Thema dieses Jahres.
Mit der GWB-Novelle hat das Bundeskartellamt gerade neue Werkzeuge an die Hand bekommen, um seinen Aufgaben zukünftig besser nachkommen zu können.
Und auch auf europäischer Ebene wird mit dem Digital Market Acts (DMA) und dem Digital Services Acts (DAS) daran gearbeitet die Möglichkeiten des Staates im Kampf gegen Wettbewerbsverzerrungen im Umfeld digitaler Ökosysteme zu verbessern.
Die Auseinandersetzung in Australien wird nicht dazu beitragen, die bevorstehenden Verhandlungen für Facebook, Google & Co. einfacher zu machen.
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