„Psychologische Impfung“ als Mittel gegen Fake News

Impfung

Wissen Sie, wie häufig Sie im Internet und in den sozialen Medien mit Falschinformationen konfrontiert werden? Vermutlich öfter, als Ihnen lieb ist: Laut aktueller Umfragen liest, hört oder sieht jeder von uns mindestens einmal wöchentlich „Fake News“1, zu Beginn der COVID-Pandemie vermutlich sogar noch häufiger.

Durch solche Falschinformationen entstehen jährlich geschätzte 78 Milliarden Dollar an wirtschaftlichen Schäden weltweit.2 Zum Vergleich: Mit dieser Summe könnte man die kostenlosen Corona-Tests der Bundesregierung in Deutschland rund 21 Jahre lang weiterfinanzieren. Es gibt unterschiedliche Wege, sich vor Falschinformationen zu schützen.

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Ein interessantes („bewährtes“ klingt nicht eben nach Neuigkeit…) Mittel ist die Anwendung der so genannten Inoculation Theory. Sie besagt, dass Personen durch eine Vorwarnung vor Falschinformationen geschützt werden können. Richtig angewandt kann eine solche „psychologische Impfung“ die Überzeugungskraft der Personen, die Falschinformationen verbreiten, schwächen.

In der Corona-Pandemie kursierten Behauptungen wie „Corona ist aus einem Labor“ oder „Corona ist eine Lüge“. Gerade hier hätte die Anwendung der Inoculation Theory das Gesundheitswesen vor finanziellen und viele Menschen vor gesundheitlichen Schäden bewahren können.

Unabhängige Einrichtungen der Bundesregierung wie das Robert-Koch-Institut (RKI) oder das Paul-Ehrlich-Institut, aber auch Virologen wie Christian Drosten3 leisten eine gute und wichtige Aufklärungsarbeit in der Corona-Pandemie. Sie sind gleichzeitig Opfer groß angelegter Desinformationskampagnen in den sozialen Medien3, die z. B. darauf abzielen, Personen vom Impfen abzuhalten. Wenn Sie diesen Personen oder Unternehmen z. B. auf Twitter folgen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie in den Kommentaren auf zweifelhafte Meldungen stoßen und sich fragen, ob das nun wahr ist oder nicht. Die Verbreitung von Falschinformationen wie „Corona-Impfstoffe enthalten Mikrochips“ oder „führen zu Unfruchtbarkeit“ kann Menschen davon abhalten, sich impfen zu lassen. Schlimmer noch: Es kann sie motivieren, andere davon abzuhalten. Versuchen Sie einmal, eine solche Haltung rückgängig zu machen. Wenn eine Person zur festen Überzeugung gelangt ist, die Impfstoffe enthielten Mikrochips, ist es sehr schwer, sie zum Impfen zu motivieren – egal, wie gut Ihre Argumente auch sein mögen.

Aus diesem Grund lohnt es sich, bereits vorher zu handeln. Die Inoculation Theory kann Menschen vor Falschinformationen schützen. Sie wurde vom Sozialpsychologen William J. McGuire in den Jahren 1961 bis 1964 entwickelt. Er fand heraus, dass die Überzeugungskraft von Argumenten so stark abgeschwächt werden kann, dass weniger Personen ihr Verhalten ändern. In der heutigen Zeit könnte die angewandte Inoculation Theory also dafür sorgen, dass Personen vor Falschinformationen zu Corona-Impfstoffen gewarnt werden, damit sie sich von den Skeptikern nicht überzeugen lassen.

Das Ganze funktioniert bildlich gesprochen wie die medizinische Impfung mit Lebendimpfstoffen. Bei dieser wird ein abgeschwächter, so genannter attenuierter Krankheitserreger in den menschlichen Körper injiziert. Das Immunsystem reagiert auf den Eindringling in Form einer Abwehrreaktion, allerdings in der Regel ohne gesundheitliche Beeinträchtigung. Die Abwehrreaktion auf den abgeschwächten Erreger hat zur Folge, dass diese Menschen für eine lange Zeit vor dem „echten“ Krankheitserreger geschützt sind.

Die Inoculation Theory lässt sich gut mit einer „psychologischen Impfung“ vergleichen. Die abgeschwächten Krankheitserreger sind in diesem Fall abgemilderte Argumente oder kleinere Bestandteile von Falschinformationen. Sie dienen gewissermaßen als Vorwarnung – und als Basis für Gegenargumente, die mehr oder weniger immun gegen zweifelhafte Überzeugungsversuche machen und die eigenen Überzeugungen und Einstellungen festigen. Das Mindset der Betreffenden bildet somit Antikörper gegen Falschinformationen – und es besteht ein „psychologischer Schutz“.

Bei jeder Konfrontation mit Falschinformationen können Sie nun automatisch auf die Antikörper zurückgreifen. Nehmen wir an, Sie sind auf Falschinformationen zur Corona-Impfung vorbereitet, also „psychologisch geimpft“. Nun sehen Sie einen neuen Beitrag von Christian Drosten und lesen in den Top-Kommentaren, dass Corona-Impfungen Mikrochips enthalten und niemand sich impfen lassen sollte. Der Kommentar ist so überzeugend formuliert, dass Sie ohne weitere Vorbereitung durchaus daran glauben würden. Durch Ihren automatischen Abwehrmechanismus erkennen Sie jedoch sofort, dass es sich um eine Falschinformation handelt. Die Konsequenz: Auf diesem Wege sind Sie künftig nicht mehr zu überzeugen – sehr zum Ärger der Fake News-Verbreiter.

Wenn die Inoculation Theory richtig angewandt wird, ist sie eine effiziente Methode, vor Falschinformationen zu schützen. Ein tolles Beispiel ist das interaktive Fake-News-Spiel Go Viral!. Forscher aus England haben hier die Inoculation Theory als Grundlage genutzt, um die Spielenden innerhalb von nur fünf Minuten vor COVID-19-Falschinformationen zu schützen. Probieren Sie es aus – wie hoch wird Ihr Highscore sein?

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Referenzen:

  1. RND RedaktionsNetzwerk Deutschland. Studie: Knapp die Hälfte der Deutschen stößt im Netz regelmäßig auf Corona-Fake-News. https://www.rnd.de/digital/fake-news-zu-corona-knapp-die-haelfte-der-deutschen-laut-studie-regelmaessig-konfrontiert-C52RC7ULHJDA4RLQ5JSJP3HFZQ.html (abgerufen am 23.08.2021)
  2. Statista. Geschätzte jährliche Kosten durch die Auswirkungen von Fake News im Jahr 2019. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1074000/umfrage/jaehrliche-kosten-durch-die-auswirkungen-von-fake-news/ (abgerufen am 23.08.2021)
  3. RND RedaktionsNetzwerk Deutschland. Corona-Impfung im Bann der Fake News: Wie Impfgegner im Internet Angst schüren. https://www.rnd.de/gesundheit/corona-im-bann-der-fake-news-wie-impfgegner-im-internet-angst-schueren-IEDXFPDQO5AVVBOORMCBLRSXOE.html (abgerufen am 23.08.2021)
  4. McGuire W. J. (1961a). The effectiveness of supportive and refutational defenses in immunizing and restoring beliefs against persuasion. Sociometry 24, 184–197. [Google Scholar]
  5. McGuire W. J. (1961b). Resistance to persuasion conferred by active and passive prior refutation of the same and alternative counterarguments. J. Abnorm. Soc. Psychol. 63, 326–332. [Google Scholar]
  6. McGuire W. J. (1964). Inducing resistance to persuasion: some contemporary approaches, in Advances in Experimental Social Psychology, Vol. 1, ed Berkowitz L. (New York, NY: Academic Press; ), 191–229. [Google Scholar]
  7. McGuire W. J., Papageorgis D. (1961). The relative efficacy of various types of prior belief-defense in producing immunity against persuasion. J. Abnorm. Soc. Psychol. 62, 327–337. 10.1037/h0042026 [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]
  8. McGuire W. J., Papageorgis D. (1962). Effectiveness of forewarning in developing resistance to persuasion. Public Opin. Q. 26, 24–34. 10.1086/267068 [CrossRef] [Google Scholar]
  • Marius Schwarzer

    Marius Schwarzer ist Junior Berater im Bereich Healthcare bei FleishmanHillard Deutschland. Er unterstützt verschiedene Kundenprojekte in den Bereichen Produkt-, Launch- und Krisenkommunikation sowie Social-Media Monitoring und Patientenkommunikation mit einer weiten Spannbreite an Indikationen, z. B. Onkologie, Neurologie, Rheumatologie und Immunologie....

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