Gleichberechtigte Zugänge zur Politik schaffen: Warum der Bundestag immer noch nicht weiblich genug ist

von
Leah Schrimpf

Deutscher Bundestag

In den letzten 16 Jahren waren Wahlkämpfe zu Bundestagswahlen stark von einem Wunsch nach Stabilität und Sicherheit geprägt. Unter der Ära Merkel fand die Aufbruchs- und Veränderungsthematik selten ein starkes Sprachrohr. Doch diesmal ist vieles anders. Im Rahmen der bevorstehenden Koalitionsgespräche zwischen der SPD, den Grünen und der FPD steht die Frage nach Veränderung, Umbruch und Neuanfang im Vordergrund. Den verhandelnden Parteien geht es darum, die Zukunft Deutschlands neu zu definieren. Aber nicht nur die möglichen Regierungsparteien spielen hier eine Rolle – das gesamte Parlament soll die deutsche Gesellschaft sowie ihre Visionen, Ängste, Wünsche und Interessen repräsentieren.

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Der neue Deutsche Bundestag: Jünger und weiblicher

Nach den Ergebnissen des Bundeswahlleiters ist das am 27. September neu gewählte deutsche Parlament das jüngste und eins der weiblichsten seiner Geschichte. Der Anteil der Menschen die 1980 oder später geboren wurden liegt bei 30 Prozent und der Frauenanteil ist bei 35 Prozent angekommen. In einer Verbindung mit Superlativen überraschen diese Zahlen, jedoch zeichnet sich, im Vergleich mit der Periode 2017–2021, tatsächlich ein Wachstum ab. Der Frauenanteil lag dort bei 31 Prozent, der Anteil jüngerer Mandatsträger/-innen bei 12 Prozent. Die Werte steigen, aber die Veränderung lässt auch dieses Mal zu wünschen übrig. Insbesondere der Frauenanteil im Bundestag hat zuletzt wieder zu großen Debatten geführt. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit seinem Anteil von 34,7 Prozent auf Platz 42. In Bezug auf anderweitige Minderheitenrepräsentanz lässt sich der Fortschritt des Bundestages mit einer einzelnen Tatsache gut zusammenfassen: Dieses Jahr wurde zum allerersten Mal eine schwarze Frau sowie zwei transsexuelle Frauen in den Bundestag gewählt.

Es stellt sich also die Frage: Warum geht es nur so langsam voran? Und kann ein Parlament vielleicht gar nicht dem Anspruch, das Spiegelbild der Gesellschaft sein zu müssen, gerecht werden?

Gender Data Gap

In ihrem Buch „Invisible Women“ stellt Caroline Criado-Perez eine kontroverse These auf. Sie sagt, dass es bei der individuellen Wahlentscheidung wichtiger ist, entlang des eigenen Geschlechts, anstatt eigener Interessen zu entscheiden. Das bedeutet, dass man als Frau in jedem Fall immer andere Frauen in Positionen wählen sollte, auch wenn diese nicht die eigenen politischen Einstellungen repräsentieren. Und nur, wenn in Parlamenten eine geschlechtergerechte Aufteilung erreicht ist, besteht die Chance, dass die Interessen von 50 Prozent der Bevölkerung zu 100 Prozent berücksichtigt und mitgedacht werden. Unrecht hat sie damit sicherlich nicht. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass die sogenannte Gender Data Gap unter anderem dazu führt, dass künstliche Intelligenzen mit einem Gender-Bias entwickelt werden oder in vermeintlich simplen Fragen, wie der Stadtplanung, aber auch in der Medizin, Frauen und ihre Interessen nicht mitgedacht werden. Dies liegt daran, dass Männer, auch wenn sie in einer Rolle als Mandatsträger oder anderweitig hoch positionierte Entscheidungsträger Frauen repräsentieren, einfach keine Frauen sind.

Jede/-r repräsentiert jede/-n?

An dieser Stelle schleicht sich nun der rechtliche Grundsatz der Rolle eines Mandatsträgers oder einer Mandatsträgerin im Bundestag ein. Nach Artikel 38 des Grundgesetzes sind Abgeordnete dazu verpflichtet, das „ganze deutsche Volk“ im Bundestag zu repräsentieren. Das Mandat als Abgeordnete/-r im Bundestags sollte entsprechend von gleichberechtigtem Einsatz für die Interessen aller Menschen in seinem oder ihrem Wahlkreis geprägt sein. Jede/-r Abgeordnete/-r sollte genauso sein Ebenbild repräsentieren wie auch all diejenigen, welche davon abweichen. Eine ausgeglichene Repräsentation der Geschlechter, aber auch von unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, Religionszugehörigkeiten, kulturellen Hintergründen, Hautfarben sowie körperlichen und geistigen Behinderungen in der Menge der Abgeordneten wäre laut dieses Grundsatzes hinfällig.

Zugänge schaffen sich nicht von selbst

Allerdings müsste dann auch vorausgesetzt sein, dass zu jedem Zeitpunkt der Zugang zu Mandaten für alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen möglich ist. Das ist er jedoch nicht. Um als Kandidat:in für ein Bundestagsmandat aufgestellt zu werden, muss man sich oftmals zunächst in lokalen politischen Strukturen behaupten und hocharbeiten. Diese Strukturen sind stark männlich dominiert. Jobs und Positionen werden auch hier oft hinter verschlossenen Türen von Mann zu Mann weitergegeben, während Frauen und Menschen gesellschaftlicher Minderheiten außen vor bleiben. Die Ergebnisse der Bundestagswahl und auch die Aufstellung der Listen zeigen große Unterschiede zwischen den Parteien. Einige verpflichteten sich zu einer paritätischen Besetzung ihrer Listen, andere hingegen haben in ihrer Fraktion im neuen Bundestag einen Frauenanteil von nur 24 %.

Ohne Werkzeuge, die Türen öffnen und Hürden abbauen, wird sich also wenig am bestehenden System ändern. Ein Bundestag, der die breite Gesellschaft repräsentiert, sollte an sich selbst den Anspruch stellen, möglichst inklusiv zu sein – Grundsätze der Mandatsträger:innen hin oder her. Die Gesellschaft möglichst realitätsnah widerzuspiegeln wäre ein erstrebenswertes Ziel. Bis dahin kann man durch einzelne Instrumente im Rahmen des Gender Mainstreaming, wie ein Paritätsgesetz, Frauenquoten für die Besetzung von Ausschüssen oder Sensibilisierungstrainings beispielhaft vorangehen. Sie wären ein Symbol, um unserer Gesellschaft zu zeigen, dass Veränderungen ernst genommen und auch in dem Schlüsselorgan unserer Demokratie abgebildet werden.

 

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