Zeitenwende – Krieg und unternehmerische Verantwortung
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist klar geworden, dass ein nachhaltiges Wirtschaften ohne Freiheit und Demokratie nicht möglich ist. Nach Wochen diplomatischer Bemühungen, enttäuschten Hoffnungen und eskalierenden Drohungen aus dem Kreml war der Angriff Russlands nicht mehr überraschend – aber deshalb kein bisschen weniger schockierend. Wir erleben zweifellos eine Zeitenwende, wie es Bundekanzler Scholz für die deutsche Politik formuliert hat. Wie immer bei großen Wendepunkten in der Geschichte hat sich auch dieser lange angebahnt. Die Folgen sind derzeit dennoch nicht gänzlich absehbar. Klar ist aber, dass Vladimir Putin bereit ist, einen enorm hohen Preis zu bezahlen, um seine geopolitischen Ziele zu erreichen. Er wird versuchen, jene einen noch höheren Preis bezahlen zu lassen, die sich seinen Zielen entgegenstellen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine stabile Friedensordnung, Freiheit und Demokratie auch einen Preis einfordern. Einen Preis, der in die Kalkulation wirtschaftlicher Akteure eingedacht werden muss.
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Unternehmen und Autokratie
CEO-Befragungen von PWC und EY haben bereits vor dem russischen Einmarsch ergeben, dass geopolitische Konflikte von Entscheidern durchaus als Risiko verstanden werden. Nichtsdestotrotz haben deutsche Manager vor dem Ukraine-Krieg vor allem die wirtschaftlichen Chancen in Russland gesehen und ihre Wirtschaftstätigkeit eng mit dem Kreml verflochten. Dabei wurden die im Rückblick überdeutlichen Hinweise auf die zunehmend aggressive Grundhaltung Putins mit dem Hinweis auf den „Primat der Politik“ beiseitegeschoben. Der damalige Siemens-Chef Joe Kaeser traf Putin 2014 schon 10 Tage nach dessen völkerrechtswidriger Annexion der Krim unter dem Hinweis, dass man sich von „kurzfristigen Turbulenzen in unserer langfristigen Planung auch nicht übermäßig leiten lassen“ solle. Auch OMV, E.ON (heute Uniper), Shell, BASF/Wintershall und ENGIE unterzeichneten 2015 den Gesellschaftervertrag für Nord Stream 2 mit Gazprom, also nach der Annexion der Krim. Auch die massive Unterdrückung der russischen Zivilgesellschaft oder das Aufdecken von staatlich angeordneten Morden im Ausland blieben für die CEOs ohne Konsequenzen für Russland.
Heute ist klar, dass es nicht ausreicht, das Messaging in Social-Media-Kanälen anzupassen und Betroffenheit zu demonstrieren. Es geht um die Frage, ob die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens die freiheitliche Weltordnung als Grundlage unseres Wohlstands, unserer Freiheit und unserer Sicherheit stabilisiert. Viele Unternehmen, beispielsweise viele Partner von Nord Stream 1, haben sich bislang noch nicht einmal zu den aktuellen Ereignissen geäußert.
Strikte Compliance reicht nicht
Die notwendigen Sanktionen gegen Russland werden auch westliche Unternehmen treffen. Aus Deutschland wurden im Jahr 2020 Maschinen, Autos und weitere Produkte im Wert von 23 Milliarden Euro nach Russland geliefert. Deutlich wichtiger sind aber die Rohstoffe, die aus Russland importiert werden, vor allem Gas und Mineralien. Unternehmen aus Deutschland beschäftigen außerdem rund 280.000 Menschen in Russland.
Es sind nicht zuletzt die engen Verflechtungen und Abhängigkeiten deutscher Wirtschaftsakteure mit und vom autoritären Regime in Moskau, die eine frühere und entschlossenere Reaktion verhindert haben. Diese Geschäftstätigkeit hat darüber hinaus – zumindest indirekt – auch die russische Kriegskasse gefüllt. Das dürfte nun auch den letzten Verteidigern „rein privatwirtschaftlicher“ Beziehungen zu Russland klar geworden sein. In autoritären Regimen gibt es keine eindeutige Trennung zwischen Wirtschaft und Politik.
Die Sanktionen gegen Russland werden natürlich von allen Unternehmen mitgetragen. Aber reine ‚legal Compliance‘ reicht heute nicht mehr aus. Deshalb gehen viele Unternehmen in ihren Reaktionen mittlerweile auch über die Sanktionen hinaus. Es sind allerdings vor allem solche aus dem nichtdeutschen Ausland, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen.
Der britische Ölkonzern BP zieht sich vollständig aus dem russischen Rosneft-Konzern zurück, Google hat die Kanäle des russischen Staatssenders RT (früher Russia Today) auf seinen Plattformen gesperrt, und Apple hat den Verkauf seiner Produkte in Russland gestoppt sowie den Bezahlservice Apple Pay eingeschränkt. Erst mit Verzögerung zogen deutsche Unternehmen wie VW nach und stoppten die Exporte nach Russland sowie die dortige Produktion.
Si vis pacem para bellum
Verantwortungsvolles Unternehmertum bedeutet, politisch zielführende Wirtschaftssanktionen mitzutragen und mittragen zu können, ohne das eigene Unternehmen in existenzielle Schwierigkeiten zu bringen. Es bedeutet, die eigene Wirtschaftstätigkeit dahingehend zu überprüfen, dass sie nicht im Endeffekt die Feinde der Demokratie und Freiheit, die Autokraten und Kriegstreiber dieser Welt stärkt und stützt. Es bedeutet, den Blick vor den fundamentalen Unterschieden der politischen und gesellschaftlichen Werte nicht zu verschließen. Es bedeutet, im Krisenfall eindeutig Position zu beziehen. Spätestens bei der Frage nach Krieg und Frieden können wirtschaftliche Interessen nicht mehr als Argument für eine angebliche Neutralität vorgetragen werden.
Durch den russischen Überfall auf die Ukraine wird deutlich, dass Corporate Citizenship auch die Frage nach den politischen Konsequenzen unternehmerischer Entscheidungen einbeziehen muss – kurzfristige Konsequenzen ebenso wie langfristige geopolitische Fragen. Das eigene handlungsleitete Interesse an funktionierenden wirtschaftlichen Beziehungen lässt sich nicht automatisch auf andere Akteure übertragen, und wirtschaftliche Kooperation kann an anderer Stelle lediglich ein Mittel für einen furchtbaren Zweck sein. Oder anders gesagt: Mit Putins Russland Geschäfte zu machen, ist vom Krieg nicht „reinzuwaschen“.
Was jetzt zu tun ist
In Anbetracht der aktuellen Ereignisse müssen sich Unternehmen daher drei Fragen stellen:
- Unterstützt unsere Geschäftstätigkeit – direkt oder indirekt – Putins Krieg?
- Können wir unsere Geschäftstätigkeit kurzfristig anpassen, um Frieden und Sicherheit zu stärken?
- Wie können wir langfristig unsere Unternehmensstrategie so anpassen, dass wir sichergehen können, dadurch die Friedensordnung, die Freiheit und Demokratie nicht zu untergraben?
Auf die erste Frage reagieren Unternehmen durch das Aussetzen der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Es gilt, die Geschäftstätigkeit zu überprüfen und zu verhindern, dass Kriegstreiber von den Beziehungen profitieren oder man selbst von Beziehungen mit ihnen profitiert.
Mit der zweiten Frage mussten sich zu Beginn der militärischen Auseinandersetzung insbesondere Unternehmen auseinandersetzen, die Produktions- oder andere Betriebsstätten in der Ukraine betreiben. Sie müssen dafür Sorge tragen, ihre Mitarbeiter zu schützen. Aber auch unabhängig davon gilt die Frage, welche Möglichkeiten ein Unternehmen besitzt, um in einer Kriegssituation einen Beitrag leisten zu können.
Dabei empfiehlt es sich, beim eigenen Kerngeschäft anzufangen. Hier hat man den meisten Einfluss sowie die meiste Expertise – und erzielt daher auch den größten Effekt. Ein Beispiel dafür liefert die Telekom, die Anrufe und Nachrichten in die Ukraine kostenfrei gestellt sowie die Roaming-Gebühren in der Ukraine abgeschafft hat. Ähnlich die Berliner Verkehrsbetriebe, die ihr Verkehrsangebot derzeit kostenlos für Menschen anbieten, die aus der Ukraine fliehen mussten. Es geht nicht um „Haltung,“ sondern um Handlung.
In der dritten Frage geht es darum, die eigenen Wirtschaftsbeziehungen zu überprüfen. Es sollte vermieden werden, sich in eine Abhängigkeit von politisch unberechenbaren Partnern zu begeben, die einen erpressbar macht. Dazu gehört spätestens jetzt auch, ernsthafte Überlegungen darüber anzustellen, wie man sich als Unternehmen möglichst bald unabhängig von russischen Energieimporten macht. Und auch grundsätzlich muss die Frage nach wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Kreml gestellt werden.
Unternehmen müssen ihre wirtschaftlichen Verflechtungen und Abhängigkeiten kritisch überprüfen, um resilient gegenüber unberechenbaren Akteuren zu werden. Sie müssen reflektieren, welchen Interessen sie durch ihre Aktivitäten dienen. Wirtschaftliche Beziehungen führen nicht zwingend zu Frieden und Annäherung. Sie können auch Kriegskassen füllen, autoritäre Regime stabilisieren und Gewalt ermöglichen.
Viele der notwendigen Maßnahmen werden Unternehmen hart treffen. Diese Investitionen in unsere politische, ökonomische und gesellschaftliche Freiheit sind aber die Grundlage nachhaltiger Wertschöpfung. Denn ohne Freiheit und Demokratie gibt es keine Nachhaltigkeit.
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Dr. Sebastian Schwark ist Partner und Senior Vice President bei FleishmanHillard Germany. Er leitet das Corporate Reputation Team und ist ein Experte für professionelles Reputationsmanagement. Sebastian Schwark unterstützt Unternehmen und Führungskräfte dabei, gesellschaftliche Fragen und Anforderungen der Stakeholder erfolgreich zu...