EU Green Claims Directive – Warum Unternehmen und Verbraucher von der Gesetzesinitiative profitieren
Für Unternehmen wird es zunehmend wichtiger, authentisch zu kommunizieren und als echte Marke wahrgenommen zu werden. In unseren Beratungen empfehlen wir, stets eine hohe Konsistenz zwischen Kommunikation und Handeln herzustellen. Doch ausgerechnet in der Nachhaltigkeitskommunikation ist dieser Grundsatz bei vielen Akteuren noch nicht angekommen. Labels wie „100 Prozent recyclebar“, „plastikfrei“ oder „klimaschonend“ zieren die Produkte, ohne dass die Hersteller belegen, wie sie zu dieser Aussage kommen. Und genau dort soll die „Green Claims Directive“ der EU-Kommission ansetzen. Der Vorschlag hat das Potenzial, die Nachhaltigkeitskommunikation in der EU massiv zu verändern. Erklärt oder impliziert eine kommerziell ausgerichtete Kommunikation, dass eine Ware „klimafreundlich“, „umweltschonend“, „nachhaltig“ etc. ist, oder dass ein Anbieter entsprechend agiert, ist das Unternehmen künftig verpflichtet, dies auch zu belegen. So schafft die Directive mehr Transparenz für Verbraucher und bietet gleichzeitig eine große Chance für Unternehmen.
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Konjunktur der „grünen“ Werbeversprechen
Wer noch in den frühen 2000er-Jahren umweltfreundliche, ressourcenschonende oder klimafreundliche Artikel kaufen wollte, kam um Reformhäuser und ähnliche Geschäfte nicht herum. Mittlerweile gehören nachhaltige Produkte zum guten Ton. Vom Supermarkt über das Sportgeschäft bis zum Baumarkt wissen Händler:innen und Dienstleister:innen um die Bereitschaft vieler Kund:innen, zu jenen Produkten zu greifen, die eines der oben genannten Attribute für sich reklamieren.
Dieser quasi-inflationäre Gebrauch von selbst definierten Labels und Claims hat nicht nur zu deutlich geringeren Preisen für die so betitelten Produkte und Dienstleistungen geführt, sondern auch zu einem Vertrauensverlust gegenüber solchen Behauptungen sowie einer geringeren Bereitschaft, entsprechende Preise zu zahlen. So profitieren am Ende jene Anbieter:innen, die möglichst viel Nachhaltigkeit propagieren und dabei möglichst wenig in effiziente Maßnahmen investieren. Ob die gemachten Versprechen eingehalten werden, spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Oftmals ist es kompliziert, die tatsächlichen Effekte von Produkten und Maßnahmen nachzuvollziehen. So erscheint es zunächst absolut plausibel, dass ein Unternehmen seine Umweltbilanz verbessert, weil es von Plastik- auf Glasverpackungen umgestiegen ist. Dies ist jedoch oft trügerisch und am Ende stellt sich heraus, dass die neuen Verpackungen die Logistik deutlich aufwendiger machen, und die positiven Effekte werden durch den Anstieg der Emissionen aufgehoben.
Beispiel Kreuzfahrt: Zwar lässt sich nachvollziehen, dass sich der ökologische und soziale Effekt von Kreuzfahrten unterschiedlich gestalten lässt. Aber dass dieser am Ende tatsächlich nachhaltig sein soll, glauben vermutlich nicht mal die Reisenden selbst. Trotzdem finden sich etliche Angebote für „nachhaltige Kreuzfahrten“, bei denen man kaum eine Möglichkeit hat, nachzuvollziehen, wie die vermeintliche Nachhaltigkeit eigentlich zustande kommen soll.
Dies schadet dem Vertrauen zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern massiv. Bei jeder Nachhaltigkeitskommunikation schwingt inzwischen der Verdacht des Greenwashings mit – und das oft mit Recht. Unternehmen, die hingegen tatsächliche Verbesserungen erreichen wollen, haben es schwer gegen absolute Aussagen zu „nachhaltigen Produkten“ anzukommen, wenn sie selbst „nur“ Teilerfolge auf dem Weg zu nachhaltigem Wirtschaften vorweisen können. Aus der Beratungspraxis wissen wir zwar, dass diese Transparenz von den Stakeholdern geschätzt wird, aber nichtsdestotrotz ist es auf diese Weise auch schwieriger, Aufmerksamkeit im erforderlichen Maß zu erhalten.
Wie die Green Claims Directive die Regale verändern wird
Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die EU ihren Vorschlag für die „Green Claims Directive“ vorgestellt. Sie soll durch neue Regulierungen die Transparenz rund um das Werben mit grünen Attributen deutlich erhöhen. Sollte die Directive in der derzeit diskutierten Form in Kraft treten, wird sich die Nachhaltigkeitskommunikation immens verändern – insbesondere bei Marketingmaßnahmen.
Schon jetzt bemerken wir, dass sich mehr und mehr unserer Kund:innen auf diese Veränderungen einstellen. Die Directive bezieht sich auf Texte sowie grafische und bildliche Darstellungen. Damit umfasst sie nicht nur klassische Werbung, sondern auch Markennamen und Logos sowie sämtliche weiteren Kommunikationsmaßnahmen und -produkte. Behaupten oder implizieren diese, eine positive oder zumindest keine negative Auswirkung auf die Umwelt zu haben bzw. weniger umweltschädlich zu sein als andere, müssen dazu Belege erbracht werden. Es muss beispielsweise ersichtlich werden, auf welche Aspekte sich die Angaben beziehen, auf welche Methoden sich die Bewertung stützt oder welche Maßnahmen umgesetzt wurden. Und das alles auf eine Art und Weise, die es Verbrauchern erlaubt, die Inhalte klar und verständlich nachzuvollziehen. Das bedeutet, dass absolute Aussagen zu „klimafreundlichen“ oder „100% nachhaltigen“ Produkten bald der Vergangenheit angehören werden, da sie den Anforderungen schlichtweg nicht entsprechen können.
Seit längerem raten wir unseren Kund:innen dazu, sich von solchen Aussagen zu verabschieden, die empirisch nicht belegbar sind. Daher steht zu Beginn unserer Beratungsmandate häufig eine Art Inventarisierung dessen, was ein Unternehmen tatsächlich leistet, um im Anschluss die Kommunikation einem Realitätscheck zu unterziehen.
Fantasievolle Werbesprüche wie „vollständig klimaneutrales Fleisch“ oder „klimapositive Pasta“ werden dann von Verpackungen verschwinden. Gleiches gilt für inhaltslose Versprechen wie „bei jedem Kauf einer Schokolade ein Kilo CO2 einzusparen“. Es mangelt nicht nur an Kontextualisierung, sondern auch an glaubwürdiger Beweisführung. Das gilt nicht nur für Angaben zum Klimaschutz, sondern auch bei Produkten wie Textilien, die angeblich zu 100 Prozent aus Ozeanplastik sind.
Explizit verboten werden zudem Siegel, die nicht auf einem von der EU anerkannten Zertifizierungssystem beruhen. Aussagen über ein ganzes Produkt, obwohl sie nur auf einen Teil dessen zutreffen, oder die Verwendung einer Bildsprache, die das Ausmaß des angeblichen Nutzens in übertriebener Weise darstellt. So können Versäumnisse in der Nachhaltigkeit nicht mehr durch trügerische Fotos oder gekaufte Siegel wettgemacht werden. Wer für sich beansprucht besonders nachhaltig zu sein, muss zukünftig nachweisen, wie genau man sich von den geltenden Standards abhebt.
EU legt nach: Das EU-Parlament stimmt dem „Consumer Empowerment Directive Proposal” zu
Ähnlich wie die EU Green Claims Directive zielt die Consumer Empowerment Directive darauf ab, Auflagen für die Produktkennzeichnung zu verschärfen, um Greenwashing zu verhindern. Bei den zwei EU-Richtlinien handelt es sich nicht um eine inhaltliche Doppelung. Stattdessen sollen sie im Verbund die neuen Anforderungen an Nachhaltigkeitsbehauptungen harmonisieren.
Mit der Consumer Empowerment Directive sollen Änderungen an der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vorgenommen werden. Insbesondere soll die sogenannte „schwarze Liste“ unlauterer Geschäftspraktiken um zehn weitere Punkte ergänzt werden, von denen sich drei auf Umweltangaben und Nachhaltigkeitskennzeichnungen beziehen. Die wichtigsten Forderungen sind:
- Irreführende Angaben über die ökologischen und sozialen Auswirkungen, die Haltbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten werden verboten.
- Beim Verkauf muss angegeben werden, wie, wo und zu welchem Preis eine Reparatur oder Ersatzteile angeboten werden.
- Kategorisch verboten werden Produkte, die aufgrund ihrer Bauart nicht reparierbar sind.
- Wenn Produkte als „klimaneutral“, „CO₂-neutral“, oder „CO₂-positiv“ anpreisen, aber der Hersteller einfach nur CO₂-Zertifikate kauft, muss das entsprechend gekennzeichnet sein.
- Sämtliche Nachhaltigkeitssiegel müssen auf einem offiziellen Zertifizierungssystem basieren.
Warum profitieren neben den Verbraucher:innen auch die Unternehmen?
Die durch die Beweispflicht erforderlichen Anpassungen der Nachhaltigkeitskommunikation sind für Unternehmen alles andere als trivial. Die Directive verfestigt den Übergang in eine neue Phase des Nachhaltigkeitsdiskurses. Nachdem das Thema lange Zeit kaum behandelt und lediglich von spezialisierten Unternehmen an eine kleine Zielgruppe kommuniziert wurde, hat es nicht zuletzt die Manifestation der Gefahren durch den Klimawandel auf eine neue Stufe gehoben. Die Auswirkungen des eigenen Konsums wurden für viele Menschen konkreter und Alternativen attraktiver.
Die relative Unbestimmtheit von Begriffen wie „nachhaltig“, „klimafreundlich“ oder „ressourcenschonend“ sowie die fehlende Regulierung ihrer Verwendung haben Unternehmen geradezu dazu eingeladen, mit ihnen zu werben. Beinahe jedes Produkt und beinahe jede Dienstleistung lassen sich derzeit in einer vermeintlich „nachhaltigen“ Variante erwerben. Das Problem dabei ist, dass die beanspruchten Effekte in der Realität oft nicht eingelöst werden. Dafür stehen schon heute viele Klagen von NGOs gegen Unternehmen wegen Greenwashing. Wir sehen unseren Auftrag darin, Kund:innen dabei zu helfen, ihre Anstrengungen und die tatsächlichen Effekte ihrer Maßnahmen transparent zu vermitteln, ohne sich durch nicht-belegbare Aussagen angreifbar zu machen.
Vorteil für ehrliche Kommunikation
Anbieter:innen, die es mit ihren Nachhaltigkeitsbemühungen ernst meinen, ihre Effekte auf Umwelt, Gesellschaft und Klima kennen und daran arbeiten, diese positiv zu gestalten, wissen, dass sie keine absoluten Aussagen treffen können. Sie betreiben den größeren Aufwand und geraten dennoch häufig ins Hintertreffen. Das ändert sich durch die Directive. Wer tatsächlich in nachhaltigeres Wirtschaften investiert, kann zukünftig auch einen kommunikativen Vorteil gegenüber denjenigen generieren, deren Anstrengungen dahinter zurückfallen.
Die Vorgaben liefern einen verbindlichen Rahmen und sichern damit eine höhere Transparenz für Verbraucher:innen und Anbieter:innen. Für Erstere wird es einfacher nachzuvollziehen, was ein Unternehmen tatsächlich tut. Letztere können leichter verstehen, was sie tatsächlich leisten müssen. Am Ende profitieren beide von einem höheren Maß an Ehrlichkeit. Zwar wird es kaum mehr möglich sein, Produkte zu verkaufen (und auch zu erwerben), die „nachhaltig“ oder „klimaneutral“ sind (zumindest noch nicht). Jedoch werden die Schritte innerhalb der Entwicklung besser kommunizierbar, da sie nicht mehr gegen absolute Aussagen konkurrieren.
Schon jetzt dürfte der Anteil an Verbraucher:innen gering sein, der tatsächlich an die angebliche Klimaneutralität von Produkten, Dienstleistungen und Anbieter:innen glaubt. Nicht nur die Begriffe verwässern, es sinkt auch das Vertrauen in sie. Diesem Trend kann die Directive entgegenwirken.
Den Kunden mehr zutrauen
Es wird höchste Zeit, dass Unternehmen aufhören, mit einer Nachhaltigkeit zu werben, die sie nicht einlösen können – wohl wissend, dass auch die Verbraucher:innen nicht daran glauben. Stattdessen sollten sie ihren Kund:innen zutrauen zu verstehen, dass tatsächliche Nachhaltigkeit mit Prozessen einhergeht, die keine schnellen Erfolge von jetzt auf gleich versprechen. Verbraucher:innen erwarten Ehrlichkeit und Transparenz, keine sofortige Klimaneutralität. Besser ist die klare Kommunikation der tatsächlichen Effekte und des Plans, wie diese weiter verbessert werden sollen. Die Directive zwingt Unternehmen dazu mehr und verständlicher zu erklären.
Nach Inkrafttreten der Directive bleiben den Mitgliedsstaaten üblicherweise zwei Jahre Zeit, diese in nationales Recht zu überführen. In Deutschland ist aber damit zu rechnen, dass sie möglichst schnell umgesetzt werden soll. In jedem Fall müssen sich Unternehmen zeitnah auf die neuen Vorgaben einstellen – nicht nur, um künftige Strafen zu vermeiden, sondern auch um im anstehenden Transparenzwettbewerb nicht als Nachzügler zu gelten. Darüber hinaus sind in Deutschland bereits heute Klagen aufgrund irreführender Behauptungen möglich und werden von NGOs wie beispielsweise der Deutschen Umwelthilfe auch immer wieder geführt.
Wenn es der Directive gelingt, das Vertrauen zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern wieder herzustellen, ist viel gewonnen. Denn die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, sind zu groß, als dass sich Unternehmen mit Werbeclaims vor ihrer Verantwortung verstecken können.
Was Unternehmen jetzt tun sollten
In unserer Beratungspraxis fällt auf, dass sich Unternehmen sowohl auf strengere Regulierungen als auch auf kritischere Verbraucher:innen einstellen. Nicht mehr nur möglichst markige Werbesprüche sind gefragt, sondern Aussagen, die nicht direkt dem nächsten Shitstorm oder der nächsten Klage die Tür öffnen.
Die Nachhaltigkeitskommunikation muss sich umstellen – weg von absoluten Behauptungen hin zu Prozessen. So steigt die Nachfrage nach Beratungsangeboten, die Unternehmen dabei helfen, ihre Nachhaltigkeitsstrategie in einer Erzählung zu bündeln. Eine solche Erzählung ist geprägt von Zielen und Maßnahmen, aber auch von Herausforderungen und Rückschlägen innerhalb des Prozesses.
Wir wissen aus vergangenen Projekten, dass Verbraucher:innen diese Transparenz honorieren. Sie blicken kritischer auf die Maßnahmen der Anbieter, sind aber auch bereit, sich mehr erklären zu lassen. Für Unternehmen hingegen geht es nicht darum zu zeigen, dass sie die ultimative Lösung gefunden haben, sondern dass sie daran arbeiten, das Bestmögliche zu tun.
Wie Stakeholder kommunikativ in diesen Prozess eingebunden werden können und wie Unternehmen ihre Nachhaltigkeitskommunikation gestalten, können Sie in unserer Studie nachlesen.
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Dr. Nils Napierala ist Account Supervisor bei FleishmanHillard Germany. Er ist Teil des Corporate Reputation Teams, mit dem er bereits 2021 als selbstständiger Kommunikationsberater zusammenarbeitete. Dr. Nils Napierala unterstützt Unternehmen dabei, sich hinsichtlich gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen zu positionieren und die Erwartungen...
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