Mitgestalten statt verwalten – Unternehmenskommunikation im digitalen Wandel

Es ist Dienstagmorgen. Der CEO hat den Chef der Unternehmenskommunikation, Herrn K., zum Gespräch gebeten. Digitalisierung sei das Thema, gerade für sie als Hidden Champion sei das überlebensnotwendig. Man werde dazu einen Innovation-Hub ausgründen und habe dafür einen Entrepreneur verpflichtet, der schon bei verschiedenen Start-ups mitgewirkt hat. Und Herr K.? Der solle jetzt bitte die Mitarbeiter auf den Wandel vorbereiten, am besten über digitale Kanäle: the medium is the message!

Vernetzten Sie sich mit den Autoren Arne Klempert und Caroline Pirlet auf LinkedIn

Im nächsten Top-Management Meeting wird die Mannschaft auf die neue Strategie eingeschworen. Unter ihnen auch Herr K. Die Keynote hält der Geschäftsführer des Innovation-Hubs, mittlerweile auch Chief Digital Officer und neue rechte Hand des CEOs. Seine Botschaft: „I am here to disrupt the business!“ Eine Kampfansage.

Einige Monate später laufen erste Rollouts der Pilotprojekte, wenn auch an den meisten der 12.000 Mitarbeiter vorbei. Und inmitten des Unternehmens ist ein Kulturkampf entbrannt: Die selbsterklärten Disruptoren preschen voran und entwickeln mithilfe agiler Methoden, Tech-Start-up-Expertise und experimentierfreudigen Kunden neue Geschäftsmodelle. Ihre Tschakka-Rufe mobilisieren Fans und Gegner. Die sollen mal schön in ihrem „Sandkasten“ bleiben, sagen die Bewahrer, und verteidigen die Hoheit über ihren Geschäftsbereich.

I am here to disrupt the business

“I am here to disrupt the business!” – für Innovatoren ihr Selbstverständnis, für Unternehmen überlebensnotwendig – ruft in jeder Organisation Widerstände hervor

Werkbank oder Treiber

Und bei Herrn K. und seiner Abteilung? Dort sucht man händeringend nach Content. Ja, die Spannungen im Unternehmen beobachte man kritisch. ‚Digitale Transformation‘ habe sich als Begriff noch nicht durchgesetzt, man spreche lieber weiter von ‚Wachstum‘. Demnächst erscheint dazu ein Newsletter und auch eine Q&A-Session mit dem Chief Digital Officer ist als interaktives Format angedacht. Da warte man noch auf Rückmeldung. Von Entscheidungen seines CEOs erfährt Herr K. zunehmend erst auf Nachfrage. Der bespricht sich dieser Tage lieber mit seinem CDO.

Herr K. ist kein Einzelfall. Was seit einiger Zeit in vielen Unternehmen passiert, bedarf mehr als der Vermittlung von Botschaften und Inhalten auf bewährten Kanälen. Die Gestaltung von Wahrnehmung und Erleben im Unternehmen ist und bleibt die strategische Kernkompetenz der internen Kommunikation. Diese droht sich jedoch selbst ins Abseits zu manövrieren. Eine Neupositionierung muss her, um weiterhin als Gestalter – und nicht nur als Randbeobachter – wahrgenommen zu werden.

Notwendige Experimentierfreude beim digitalen Wandel

Notwendige Experimentierfreude wird aus der Distanz oft als Spielerei im „Sandkasten” belächelt.

Pull statt Push

Die digitale Transformation läuft in zwei Geschwindigkeiten ab: Organisations- und Kultur­entwicklung brauchen Zeit und einen langen Atem. Dagegen ist der unternehmens­strategische Handlungsdruck enorm und verlangt nach schnellem Handeln und Entscheidungen. Märkte verändern sich radikal und scheinbar über Nacht. Um nicht abgehängt zu werden, müssen sich auch und gerade große Organisationen flexibler aufstellen, ihr Tempo erhöhen und in der Breite ein nachhaltiges Momentum aufbauen. Damit verbunden sind vielfältigste Prozesse und Initiativen – von der Restrukturierung bis zum Wachstumsprogramm, neuen Geschäftsfeldern und Einheiten wie Digitalen Labs, Hubs oder Kollaborationen mit Start-ups. Und innerhalb des Unternehmens: neue Zuständigkeiten, Funktionen und Akteure. Die Gefahr einer Fragmentierung und Erosion der gemeinsamen Unternehmensidentität ist greifbar.

Die gute Nachricht für Kommunikationsmanager: Die Digitale Transformation gelingt nur mit einer übergreifenden kommunikativen Klammer. Eine gesamthafte Rahmung ist notwendig, um Orientierung und Fortschrittserlebnis sicherzustellen. Es gilt erlebbar zu machen, was das Unternehmen zusammenhält und wofür es steht – und in Zukunft stehen will. Es erfordert Mut zuzugeben, dass das Unternehmen (noch) nicht alle Antworten hat. Unternehmens-DNA trifft auf die Erkenntnis: Wir erfinden uns neu, lernen dazu und sprechen darüber. Für viele Unternehmen ist das kulturell ein großer Schritt. Wer sich in diesem Prozess Aufgaben und Rollen nicht aktiv heranholt (Pull), sondern wartet, bis er angesprochen wird (Push), hat sich schon positioniert.

Lessons Learned aus der Praxis

1) Raus aus dem Sandkasten!

Das Konzept der sandbox als geschützter Raum um Innovation zu schaffen kommt ursprünglich aus der IT. Auch in deutschen Konzernen mittlerweile etabliert, wird das damit assoziierte ‚rumspielen‘ den Beteiligten rhetorisch allerdings zum Verhängnis. Es verniedlicht, was das Unternehmen im Kern ernsthaft vorantreiben soll – und damit die Mentalität, die es mittelfristig auch in den Rest der Organisation zu tragen gilt: der Neugier und des Ausprobierens, verbunden mit dem Mut, neue Wege zu gehen.

Sprache formt Wirklichkeit. Wer die Transformationsstory den Disruptoren überlässt und die dazugehörigen Begrifflichkeiten in Buzzword-Bingo-Reinstform unreflektiert an die Belegschaft weitergibt, provoziert mehr Widerstände als nötig. Umgekehrt bremst das Herunterspielen der Veränderung jegliches Momentum. Wer versucht, die digitale Transformation als bei Zeiten abgeschlossenen Changeprozess oder als gewöhnliche Wachstumsinitiative zu verkaufen, verkennt die Dimension der notwendigen – auch kulturellen – Veränderung. Eine gelungene kommunikative Begleitung der digitalen Transformationen verlangt nicht primär Kommunikationskompetenz im klassischen Sinne, sondern vor allem Schnittstellenkompetenz.

2) Holen Sie sich Übersetzer!

Auch der Business-Jargon verändert sich mit der Digitalisierung. Wenn Kulturen aufeinanderprallen, sich Werte verschieben und latente Ängste mit Tschakka-Parolen beantwortet werden, sind Übersetzer gefragt. Mehr denn je braucht es Brückenbauer, die auf beiden Seiten zu Hause sind. Das ist selten und erfahrungsgemäß eben keine reine Frage des Alters. Die gute Nachricht: Man findet diese seltene Spezies heute schon in jedem Unternehmen. Es sind die leidenschaftlichen Schnittstellenfunktionsbesetzter, die sich täglich zwischen zwei oder mehr Welten bewegen. Sie kennen und schätzen Unterschiede, denken in Ambivalenzen und sind es gewohnt, empathisch und sprachgewandt zu vermitteln. Bezogen auf die digitale Transformation wissen sie, dass die Wahrheit irgendwo dazwischenliegt. Sie kennen die gängigen Schlagwörter (Bingo!), können sie aber mit Leben füllen und kommen auch ganz ohne sie aus. Sie sind meist noch nicht seit Jahrzehnten im Unternehmen oder haben sich anderweitig den kritischen Blick – auch auf das eigene Unternehmen – bewahrt.

Systemblindheit ist im Arbeitskontext eine akzeptierte Volkskrankheit. Dagegen wirkt eine vermittelnde Außenperspektive wie Penicillin. So können neben internen Verbündeten mit Übersetzer-Kompetenz auch externe Berater als Sparringpartner Inspiration und Erfahrung aus anderen Kontexten beisteuern. Dass die Impulse von außen kommen, kann dabei helfen, neue Formate auszuprobieren. So wird beispielweise ein gemeinsam mit den regionalen Führungskräften moderiertes BarCamp zum starken Signal für den Wandel. Strategische Partner können hier im besten Fall als Puffer fungieren, ohne die Verantwortung aus der Hand zu geben.

3) Lernen sichtbar machen!

Wer schon einmal in einem Großkonzern an einem Digitalisierungsprojekt zwischen verschiedenen Abteilungen und Geschäftsführung beteiligt war, der weiß: Es geht um viel mehr als die Optimierung von Prozessen. Silo-Interessen und Politik treffen auf Unternehmensvision und Digitalisierungsstrategie von CEO und CDO. Strukturell kommt dazu, dass Führungskräfte in der Regel für abteilungsübergreifendes Denken und Handeln zum Wohle des Gesamtunternehmens nicht belohnt werden. Die Folge: Es wird gebremst, Verzögerungstaktiken gefahren und auf andere verwiesen. Die Bilanz: horrende Investitionen bei schleppendem Fortgang. Mitarbeiterkommunikation? Da sei man noch nicht. Und hier liegt ein weitverbreiteter Denkfehler.

Es gibt keine Blaupause für die digitale Transformation! Aber eines haben die Prozesse alle gemein: Lernen und Transparenz bekommen eine hohe Priorität. Und gerade hier kann und muss die Unternehmenskommunikation ansetzen. Lernen sichtbar zu machen – inklusive des vielbeschriebenen Fehlermachens –, kreiert ein eigenes Momentum. Wenn das Topmanagement sich fern der üblichen Power-Point-Frontalbeschallung in einem Workshop (genau!) auf bunten Post-its erarbeitet, was Führung in der digitalen Transformation für sie heißt, dann ist das gelebte Vorbildfunktion – mit Signalwirkung für alle Mitarbeiter.

Im Fall von Herrn K. steckt noch ein weiteres Erfolgsrezept aus der Praxis: Der CEO muss sich in der Vorreiterrolle zeigen. Das ist nicht delegierbar. Eine aktuelle Herausforderung der Kommunikation besteht darin, den CEO als Initiator, Impulsgeber und Treiber der digitalen Transformation im Unternehmen sichtbar zu machen – und im besten Fall auch nach außen als Thought Leader zu etablieren.

Kulturkampf

Im drohenden Kulturkampf zwischen Disruptoren und Bewahrern braucht es Brückenbauer mit Schnittstellenkompetenz.

Was bleibt

Nachhaltiges Momentum in der digitalen Transformation entsteht durch das hartnäckige Aufweichen von Grenzen in der richtigen Tonalität. Dazwischen gibt es Menschen, mit dem Selbstverständnis von Brückenbauern. Sie sind Experten der ganz eigenen Art, häufig breit aufgestellt und deshalb nicht auf den ersten Blick als typische Experten zu erkennen. Hat man sie erstmal entdeckt, lässt man sie am besten nicht mehr los.

Die digitale Transformation gelingt nur durch eine Mischung von glaubhaft gelebten Impulsen und Lernerfahrungen auf allen Ebenen. Unternehmenskommunikation kann mit interaktiven Formaten den Austausch aktiv vorantreiben und erlebbar machen. Infomaterialien für Führungskräfte, die im Posteingang nach unten wandern, Intranet-Artikel und einmalige Q&A-Sessions für Mitarbeiter mit den Tschakka-Spezialisten sind gut – zu Beginn. Dagegen weichen digitale Kanäle wie ein Social Intranet und kollaborative Präsenzformate wie BarCamps Hierarchien und Abteilungsgrenzen auf und liefern wertvolle Ansätze zum Mitgestalten. ‚Mitgestalten statt Verwalten‘ als Motto der Kommunikationsabteilung in der digitalen Transformation? Da bleibt nur noch zu sagen: Bingo.

Erstveröffentlichung des Artikels im Magazin Kommunikationsmanager 4-2018.

 

 

  • Caroline Pirlet

    Caroline Pirlet bringt am liebsten unterschiedlichste Menschen zusammen, um gemeinsam zu entwickeln – von Strategien und Visionen über Services und Produkte hin zu konkreten Maßnahmen. Interaktiv und kreativ darf es sein. Und weil diese Erfahrung so viele begeistert, ist ihre...

    Profil ansehen