Die Mär vom Ende des Journalismus

Martin Halusa FleishmanHillard

TikTok, Instagram, Facebook – immer mehr Menschen informieren sich via Social Media über Neuigkeiten und das Weltgeschehen. Gleichzeitig schmelzen die Auflagen der Zeitungen dahin. Schon wird das Ende des Journalismus beschworen. Rette sich, wer kann – rein in die Kommunikationsabteilungen der Unternehmen! Aber: kein Grund zur Panik. Das Gegenteil ist der Fall, sagt Martin Halusa, Head of Media Relations & Content bei FleishmanHillard. Mit ihm sprach Betty Lauerbach.

Ein Blick zurück: Was sind die wesentlichen Veränderungen der deutschen Medienlandschaft in den vergangenen Jahren?

Martin Halusa: Die Trends ähneln sich weltweit: Anzeigen für Jobs, Autos oder Immobilien sind ins Web gegangen. Die Printauflagen der Zeitungen und Magazine schrumpfen. Die BILD sackte auf eine Auflage von 1,4 Millionen ab – früher waren es fünf Millionen. Regionalzeitungen wurden eingestellt, Redaktionen verschlankt.

Und an den Journalistenschulen ging die Zahl der Bewerbungen zurück. Immer weniger junge Menschen fanden den Job interessant. Dabei ist es einer der spannendsten der Welt. Tatsächlich aber sah es vor ein paar Jahren danach aus, als würde der Journalismus – insbesondere der Qualitätsjournalismus, wie wir ihn in den Leitmedien finden – vor dem Ende stehen.

Doch dann kam die Wende. Zwar sinken die Auflagen der gedruckten Medien weiterhin. Und das ist aus Umwelt-, Schnelligkeits- und Logistikgesichtspunkten sogar gut so. Doch die Zahl der Abonnements, die online verkauft werden und sich jenseits der Paywall befinden, steigt und steigt. Es ändert sich der Vertriebsweg, der Kanal für den Content.

Beim Handelsblatt hat die Zahl der Online-Abos vor drei Jahren die Zahl der klassischen Abonnenten erstmals überholt. Ähnlich sieht es bei anderen Publikationen aus. „Paid Content“ lohnt sich also. Es hat lange gebraucht, bis sich dieses Modell durchgesetzt hat. Doch es war absehbar, dass Content nicht dauerhaft kostenlos zur Verfügung gestellt werden konnte.

Deshalb lautet die gute Nachricht: Der Journalismus ist nicht am Ende. Sondern er steht vor einer neuen Blüte. Denn ganz gleich, durch welchen Kanal die Inhalte geschickt werden: Der Redakteur, der Korrespondent, der Blattmacher, der kluge Kopf bleibt der gleiche. Das ist auch wichtig für die Arbeit von PR-Agenturen. Sie müssen ihre Kommunikation und ihre Beratung breit aufstellen, indem sie einen Mix aus traditionellen Kanälen sowie Social Media schaffen. Zweigleisig fahren, heißt es hier.

Gerade Media Relations sind deshalb heute wichtiger denn je. In Zeiten von Fakenews braucht es gut recherchierte, spannende Geschichten. Der Leser benötigt Guidance für den Dschungel an Informationen, die ihn umschwirren. Eine Umfrage des Reuters Digital News Report zeigt, dass sich die Deutschen auf ihre etablierten Medien verlassen und ihnen vertrauen, wenn es um Nachrichten geht. Nur 14 Prozent sprechen dies den Social Media zu.

Die großen Medien-Marken wie Handelsblatt, Süddeutsche, Spiegel, Die WELT und Die Zeit sind stark und werden bleiben. Ganz zu schweigen von der Tagesschau und „heute“. Gerade diese Woche hat die FAZ angekündigt, dass sie zur Stärkung des digitalen Qualitätsjournalismus‘ und die weitere digitale  Transformation 25 neue Stellen schaffen wird. Vom Ende des Journalismus also keine Spur!

Was hat sich noch in der täglichen Arbeit der Journalisten geändert?

Martin Halusa: Ganz ehrlich: Als ich ein junger Journalist war, wusste ich morgens fast nie, was ich abends zum Redaktionsschluss geschrieben haben werde. Vieles war planlos. Man ging auf Pressekonferenzen, erhielt jede Menge Pressemitteilungen und schaute auf den Newstickern, was los ist. Ich übertreibe natürlich ein bisschen.

Heute ist der Journalist wesentlich strukturierter, strategischer und vielleicht auch disziplinierter. Für uns PR-Menschen bedeutet dies, dass wir noch stärker ins Storytelling einsteigen müssen. Der Journalist verkauft die Story seinem Leser. Und wir dem Journalisten. Idealerweise.

Denn das Verhältnis zwischen den Medien und Unternehmen hat sich professionalisiert. Eine Story ist eine Story. Kein Platz mehr für Gefälligkeiten und Spezl-Wirtschaft. Vorbei die Zeiten der opulenten Pressereisen, Luxushotels, First-Class-Flüge oder der Kiste Wein zu Weihnachten. Compliance rules!

Wie haben die neuen Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Social Media den Alltag in der Redaktion verändert?

Martin Halusa: Deutlich! Heutzutage wissen Redaktionen genau, welche Geschichten „laufen“ und welche nicht. Vor Jahren noch gab es nur so ein Gefühl, was interessant sein könnte. Ein Umsturz im Sudan? Helene Fischer schwanger? Eine Pressemitteilung des Bundesverbandes Deutscher Bestatter e.V.?

Heute ist das alles messbar. Jeder Klick, jedes Teilen, jeder Kommentar wird erfasst. Artificial Intelligence und Data Analysis haben längst Einzug in die Redaktionen erhalten. Der Leser, das bislang unbekannte Wesen, ist unter steter Beobachtung.

Gibt es auch eine Downside dieser Entwicklung?

Martin Halusa: Ja, die gibt es. Das Ganze hat auch seine Nachteile: Weil Journalisten und ihre Chefredakteure auf die Klicks schauen, könnten sie dazu verführt werden, eine Headline, eine Story, zuzuspitzen. Zu dramatisieren. Ihre Arbeit wird in Echtzeit gemessen. Only bad news is good news, wie wir wissen. Ein Skandal, ein plakatives Statement ist interessanter als eine bloße Verlautbarung.

Ich erinnere an die BILD-Schlagzeile: „WIR SIND PAPST!“ Dabei kann es aber auch vorkommen, dass Journalisten Partei ergreifen. Gelegentlich werden auch Nachricht und Kommentar vermengt. In den USA wird hier vom „subjektiven Journalismus“ gesprochen. Das ist dann der Fall, wenn sich Journalisten als Teil einer Kampagne begreifen. Das mag ja im Prinzip gut gemeint sein, ist aber im Kern nicht die Aufgabe des Journalisten.

Hat Corona den Journalismus nicht auch verändert? Viele Reporter arbeiten jetzt vom Homeoffice aus…

Martin Halusa: Klar, hier hat sich einiges wegen Corona verändert. Und vieles wird auch so bleiben. Bis vor kurzem etwa haben Unternehmen oft mit viel Tamtam ihre Bilanzkonferenz angesetzt. Säle gemietet. Kamerateams aufgebaut. Podium mit dem Vorstand. Der CEO im Scheinwerferlicht. Und natürlich ‚lecker Schnittchen‘ im Anschluss.

Als Corona kam, mussten sie das ändern. Eine Bilanz-PK wurde ins Netz verlegt. Und auch Hauptversammlungen, für die sonst ganze Messehallen angemietet wurden, wurden digital abgehalten. Zum Leidwesen der HV-Touristen natürlich, die jetzt auf Würstchen mit Kartoffelsalat verzichten müssen.

Virtuell ist viel billiger. Nicht so zeitaufwändig. Erfordert keine Reisen mehr. Hat eine gute CO₂-Bilanz. Kein Veranstaltungsort muss angemietet werden. Es gibt keinen „added value“ durch eine Präsenzveranstaltung. Einerseits. Andererseits waren Pressekonferenzen auch stets ein guter Markt für den Austausch von Informationen und boten Raum zum Netzwerken. PKs sind also „so yesterday“.

Größere Announcements sind heute ein hybrides Modell. Von allem etwas. Den Live-Act auf Teams, garniert durch allerlei Social-Media-Noise. Am Ende geht es aber ums Storytelling. Und das war schon immer so – Old School eben.

 

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  • Martin Halusa

    Martin Halusa ist Head of Media Relations & Content bei FleishmanHillard Germany. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von nationalen und internationalen Medienstrategien sowie authentischen Inhalten für und mit Kunden. Er bringt jeweils mehr als 15 Jahre Erfahrung in der...

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  • Betty Lauerbach

    Betty Lauerbach ist als Senior Account Executive im Corporate Communications Team von FleishmanHillard in Frankfurt tätig. Im Rahmen der strategischen Kommunikationsberatung unterstützt sie in diversen Kundenprojekten die externe und interne Kommunikation. Ihre Expertise liegt vor allem in den Bereichen Media...

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