Handlungsmechanismen und Strategien in Politik und Wirtschaft – zwei verschiedene Planeten?
Politik und Wirtschaft funktionieren nach ihren eigenen Regeln. Trotz einiger Gemeinsamkeiten überwiegen erhebliche Unterschiede. Wirtschaftsunternehmen sind von politischen Entscheidungen abhängig. Das gilt vor allem für hochregulierte Branchen wie den Energiesektor und das Gesundheitswesen. Der Politik eröffnen sich durch eine prosperierende Wirtschaft Handlungsspielräume für die Umsetzung von Vorhaben.
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In der Interessensvertretung haben sich Politik und Wirtschaft aufeinander zubewegt. Das Bedürfnis, die Positionen des Gegenübers verstehen zu wollen, nimmt zu: Für beide Seiten ist es erfolgversprechender, Interessen im Vorfeld zu akkumulieren und auszugleichen, anstatt sie im fortgeschrittenen politischen Prozess gegeneinander auszuspielen.
Im „harten Business“ jedoch, sprich in den Fachbereichen der Unternehmen, wird das Verhältnis von Wirtschaft und Politik oft anders wahrgenommen. Der Vorwurf, Politik würde zu wenig von der Wirtschaft und Fachthemen verstehen und Entscheidungen würden auf einem anderen Planeten getroffen werden, bleibt bestehen.
Politik und Wirtschaft sind zwei unterschiedliche Systeme, jeweils mit vielschichtigen Subsystemen und Eigenheiten, von denen beide Seiten oftmals zu wenig verstehen. Sich in die jeweils andere Seite reinzudenken, zu versuchen, die Handlungslogiken und -zwänge der jeweils anderen „Welt“ zu begreifen, lohnt sich jedoch für alle Personen in verantwortlicher Position.
Hilfestellung bieten bei dieser Aufgabe interne Politikabteilungen und Dienstleister zur Unterstützung der Fachbereiche. Sie nehmen vor diesem Hintergrund die Rolle als interne Beratung wahr. Ihnen obliegt die Aufgabe, gegenseitiges Verständnis aufzubauen, Vorurteile abzubauen und die Kommunikation zwischen den Welten „Politik“ und „Wirtschaft“ zu verbessern.
Politik und Wirtschaft: Woher rührt die Skepsis?
Der Politik ein grundsätzliches Verständnis des Wirtschafslebens abzusprechen, ist bis heute populär. Das hat vielerlei Gründe: Ein Kritikpunkt, der häufig genannt wird, ist aber fehlendes Fachwissen und damit fachliche Eignung aufseiten des politischen Spitzenpersonals.
Der Kontrast zur eigenen Profession ist deutlich: Manager/-innen in der Wirtschaft wechseln seltener ihre Branchen als Politiker/-innen ihre Fachausschüsse – und bauen damit ein enormes Fachwissen auf, was viele auch in höheren Managementpositionen up-to-date hält.
In der Politik ist das anders: Um in politische Spitzenämter zu kommen, bedarf es thematischer Flexibilität. Themenschwerpunkte müssen gewechselt werden, da Sprecher/-innenposten innerhalb der Fraktionen begrenzt sind, Ressorts im Kabinett sind es sowieso. So stößt es immer wieder auf Unverständnis, wenn fachfremde Politiker/-innen ein Minister/-innenamt übernehmen.
Ausnahmen gibt es natürlich, zuletzt zum Beispiel die Ernennung von Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister. Die Frage nach der fachpolitischen Eignung für ein Minister/-innenamt spielt in der politischen Praxis jedoch eine untergeordnete Rolle.
Im Vordergrund stehen Machtposition, Zugehörigkeit zu parteipolitischen Flügeln und Strömungen, Loyalität sowie Zugehörigkeit zu Landesverbänden und Geschlechterquoten. Warum ist das so – und ist es in der Wirtschaft nicht ähnlich?
Handlungslogiken und Zielsetzungen in Politik und Wirtschaft
Politik und Wirtschaft haben im Kern unterschiedliche Handlungsmechanismen und Anreizsysteme. In der Wirtschaft steht die Erreichung konkret messbarer KPIs und übergeordneter Businessziele im Vordergrund, in der Politik der jeweils eigene Machterhalt und -zuwachs.
In der Wirtschaft werden gesteckte Businessziele außerdem in regelmäßigen Abständen überprüft. Die konzernweiten, bereichsspezifischen und auch individuellen Ziele ergeben sich aus der Unternehmensstrategie, die in regelmäßigen Abständen fortgeschrieben, nachjustiert oder ganz neu entwickelt wird. Die Formulierung einer Strategie als Ziel der Unternehmung gehört zu den zentralen Aufgaben der Unternehmensführung, vor größeren Veränderungen oder Neuausrichtungen wird hierbei nicht zurückgeschreckt.
In einem klar definierten Prozess, der zeitlich und inhaltlich abgesteckt ist, wird eine neue Strategie ohne große Einmischung von außen und unter großer Vertraulichkeit entwickelt. Nur selten dringt hierbei etwas nach außen. Nach Abschluss wird die fertige Strategie intern (Mitarbeitende) und extern (Kapitalmarkt, Shareholder, Stakeholder) kommuniziert – danach folgt die Umsetzung.
Da Unternehmen in einer sich stark wandelnden Umwelt agieren, muss die Strategieumsetzung von stetigem Controlling und einer gewissen Flexibilität flankiert werden. Externe Entwicklungen wie Technologiesprünge, Änderungen der Kundenpräferenzen, sich ändernde Marktsituationen durch z. B. neue Wettbewerber, müssen mitgedacht werden und führen zu Anpassungen der Strategie.
In der Politik ist das anders. Politiker/-innen müssen netzwerken, sie müssen Menschen und Stakeholder von ihren Positionen überzeugen und auf ihre Seite ziehen. Macht und Einfluss werden nicht zuletzt auf einer ganz persönlichen Ebene erworben. Ausgangspunkt für Strategie und Leitbild in der Regierung sind der Wahlausgang und der Regierungsauftrag. Dieser schafft die grundlegende Legitimität für ihr Handeln.
Zwischen den künftigen Regierungsparteien wird im Rahmen von Koalitionsverhandlungen ausgelotet, auf welche gemeinsamen Ziele sie sich einigen können. Diese werden im Koalitionsvertrag festgehalten, gelten als Richtschnur für vier Jahre und sind eher unflexibel in der Nachjustierung.
In der laufenden Legislaturperiode besteht daher wenig Spielraum für gänzlich neue Initiativen und große Themen wie eine umfassende Steuerreform. Das verleiht Koalitionsverhandlungen ihre zentrale Bedeutung und ist Ursprung des Gedankens „nach der Wahl ist vor der Wahl“, denn: Der Handlungsraum für die Positionierung der Parteien durch das strategische Ausspielen von wichtigen Themen und Gesetzesvorhaben steht zu Beginn der Legislaturperiode bereits fest. Das Vereinbarte wird „abgearbeitet“.
In der Praxis überführen Ministerialbeamte und Ministerialbeamtinnen die teils abstrakten Formulieren aus dem Koalitionsvertrag in konkrete Maßnahmen und Gesetzesinitiativen. Ein gewisser Spielraum entsteht zwar aus diesen teils unkonkreten Formulierungen, jedoch schauen die Koalitionspartner genau hin und loten den Ermessensspielraum der Häuser gerade vor Ende der Legislaturperiode aus.
Zeitschienen in der Politik im Vergleich zur Wirtschaft sehr unterschiedlich
Eine Legislaturperiode dauert vier Jahre. Davon abzuziehen ist die Zeit der Koalitionsverhandlungen, in der Vergangenheit zwei bis sechs Monate. Im Anschluss formieren sich die Ministerien, die oftmals neu zugeschnitten werden: Zuständigkeiten und Aufgabengebiete wechseln die Häuser, gänzlich neue wie zuletzt das Bauministerium werden gebildet.
Spitzenpersonal muss gefunden werden und sich im Haus und in die Themen einarbeiten. Zudem setzt spätestens ein halbes Jahr vor der nächsten Wahl die angesprochene Entscheidungsträgheit bzw. das Herausschieben ein. Im Ergebnis haben Spitzenpolitiker/-innen damit nur knapp zweieinhalb bis maximal drei Jahre Zeit, den Koalitionsvertrag abzuarbeiten. Maßnahmen, die während einer Legislaturperiode in der Umsetzung scheitern oder nicht angegangen werden, können für die nächste Bundesregierung keine Priorität mehr haben.
Angesichts der Schnelllebigkeit der Welt erscheint diese vermeintliche Inflexibilität vielen Wirtschaftsvertretern als nicht zielführend. Vier Jahre sind für Manager/-innen und Unternehmen in der digitalen Welt eine Ewigkeit.
Je näher die nächste Wahl rückt, desto unwahrscheinlicher ist die Durchsetzung von Vorhaben – erst recht, wenn sie nicht im Koalitionsvertrag festgehalten sind. Das mag in der Wirtschaft auf Kopfschütteln und Unverständnis stoßen, ist aber die Realität in einer pluralistischen Demokratie, die es anzuerkennen gilt.
Stetige und öffentliche Erfolgsmessung unterscheidet Politik und Wirtschaft
Ein weiterer Unterschied liegt in der stetigen öffentlichen Beobachtung der Spitzenpolitik. Am Ende einer Legislaturperiode wartet so zum Beispiel der wichtigste „KPI“ der Politik: die Wahlergebnisse. Im Laufe der vier Regierungsjahre spielen zudem persönliche, fortlaufend erhobene Zustimmungswerte eine sehr große Rolle.
Dabei gilt die „Politikertreppe“ des Spiegels („der/die genannte Politiker/-in soll zukünftig eine wichtige Rolle spielen“) als härteste Währung in der Spitzenpolitik. Sie wird wöchentlich erhoben, viel beachtet und teils mit großen Ausschlägen nach oben und unten verbunden.
In der Politik hängen Machtposition und damit letztlich Handlungsspielräume sehr kurzfristig von der öffentlichen Wahrnehmung ab. Derart kurzfristige Erhebungen in der Wirtschaft gibt es nicht. Externer Beobachtung unterliegt in der Wirtschaft fast ausschließlich der Vorstandsvorsitzende, bei anderen Vorständen und Vorständinnen spielt sie eine nachgeordnete Rolle, auf Bereichsleiter/-innenebene kaum mehr.
Der Beitrag interner Politikabteilungen zur Vermittlung zwischen „beiden Welten“
Kernaufgabe von Public Affairs-Abteilungen ist es, Brücken zwischen Politik und Wirtschaft zu bauen. Das ist nicht einfach: Anzuerkennen, dass beide Welten, trotz einiger Gemeinsamkeiten, im Kern völlig verschiedene Handlungszwänge und -logiken haben, ist bei dieser Aufgabe zentral.
Ein besseres gegenseitiges Verständnis ist aber bei der Bewältigung der vor uns liegenden Aufgaben in Deutschland entscheidend, um erfolgreich zu sein. Das gilt vor allem für den klimaneutralen, allumfassenden Umbau unseres Wirtschaftssystems in nur einer Generation.
Public Affairs-Abteilungen sind gerade in einer Phase der Transformation von enorm hoher Bedeutung. Ihr Aufgabenspektrum und der interne Beratungsbedarf der Fachbereiche werden zukünftig deutlich zunehmen. Dies sollte als eine große Chance begriffen werden.
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Matthias Krülls ist seit Sommer 2020 Managing Supervisor im Berliner Büro von FleishmanHillard. Er berät eine Vielzahl von Unternehmen, Verbänden und Institutionen im Bereich der politischen Kommunikation und Interessenvertretung mit Schwerpunkt Energie- und Klimapolitik. Bevor er zu FleishmanHillard kam, arbeitet er für die internationale Kommunikationsberatung...