Das Lobbyregister: ein notwendiger Transparenzgewinn zum richtigen Zeitpunkt?

Lobbyregister

Seit dem 1. Januar 2022 gelten in Deutschland neue Transparenzregeln für politische Interessenvertretung: Das für jeden online einsehbare Lobbyregister des Deutschen Bundestags wird fortan die Interessenvertreter:innen unterschiedlicher Organisationen, Unternehmen, Beratungsanbieter sowie Verbände erfassen, die den Kontakt zu Mitgliedern des Deutschen Bundestags oder der Bundesregierung suchen.

Stand heute – Mitte April – sind mehr als 4.000 natürliche oder juristische Personen sowie Netzwerke und Personengesellschaften im Lobbyregister als aktive Interessenvertreter:innen eingetragen. Insgesamt beinhaltet das Lobbyregister mehr als 25.000 Personen, die berechtigt sind, eine Interessenvertretung gegenüber politischen Akteuren auszuüben.

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Das Lobbyregister ist eine Datenbank, in die sich Interessenvertrer:innen eintragen müssen, wenn sie gezielt politische Akteure ansprechen wollen. Darüber hinaus sind im Register die finanziellen Aufwände für die jeweilige Interessenvertretung anzugeben. Ein zusätzlicher Verhaltenskodex beschreibt Regeln, die Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität gewährleisten sollen.

Deutschland vollzieht damit einen Schritt, den andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Frankreich oder Irland schon vor einiger Zeit gegangen sind. Sie alle setzen auf eine verpflichtende Registrierung mit Verhaltenskodex sowie auf Sanktionsmöglichkeiten gegen etwaige Verstöße. Auch Slowenien oder Österreich haben ähnliche Bemühungen durchsetzen können.

Das Gesetz wurde bereits im vergangenen Jahr vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Im Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD hieß es 2020, dass sich das „Unbehagen der Öffentlichkeit“ angesichts des Einflusses von Interessenvertretung auf die Politik zunehmend verstärke. Interessenvertretung werde öffentlich „vornehmlich [als] illegitime Einflussversuche partikularer Interessenorganisationen“ wahrgenommen, das Vertrauen in die Politik schwinde.

Die Einführung des Lobbyregisters war ein guter und überfälliger Schritt

Aus demokratietheoretischer Perspektive ist kaum bestreitbar, dass die Bürger:innen als Souverän einen Anspruch darauf haben, das Zustandekommen politischer Entscheidungen nachvollziehen zu können. Der Verdacht, es bestünden Strukturen, die abseits demokratischer Wahlen systematisch und im Verborgenen einen Einfluss auf die Entscheidungen der Politik nehmen können, ist Anlass genug für mehr Transparenz.

Dies ist eine Variante des sogenannten Publizitätsgedankens. Danach kann nur das legitim sein, was das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen braucht. Eine umfassende Transparenz in diesem Sinne erfüllt darüber hinaus nicht nur ein legitimes Informationsbedürfnis der Bürger:innen. Sie kann auch eine Vorfeldwirkung entfalten. Das bedeutet: Sie kann dazu führen, dass illegitime Praktiken unterlassen werden. Aus Perspektive der Bürger:innen ist die Erhöhung von Transparenz also klar zu begrüßen.

Auch aus der Perspektive derer, die im weiteren Sinne an politischen Entscheidungen beteiligt sind – neben Legislative und Exekutive sind das beispielsweise auch Verbände, NGOs, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen, Wissenschaft sowie Public-Affairs-Beratungsgesellschaften – gibt es sehr gute Gründe für eine Erhöhung der Transparenz. Wir glauben fest daran, dass jeder Beitrag zum Vertrauen der Bürger in politische Institutionen, Akteure und Prozesse wertvoll ist.

Der demokratische Rechtsstaat ist die Grundlage für Frieden und Wohlstand. Wir haben in den letzten Jahren vielerorts im In- und Ausland lernen müssen, dass er nicht unangefochten ist. Er wird nur zu erhalten sein, wenn es gelingt, Vertrauen und grundsätzliche Zustimmung zur Ausgestaltung demokratischer Prozesse zu erhalten.

Wie ist das Transparenzregister aus Perspektive einer Public-Affairs-Beratung zu beurteilen? Wir sind der Überzeugung, dass mehr Transparenz für unsere Branche keine Bedrohung, sondern ein wichtiger Schritt nach vorne ist. Wir erklären in der Arbeit mit unseren Kunden oft, welche Erwartungen ihre Stakeholder an sie haben – beispielsweise, welche Erwartungen an Energieunternehmen hinsichtlich Klimaschutz bestehen.

Wir sind davon überzeugt, dass Erfolg und Fortbestand von Unternehmen und sogar ganzen Branchen nur dann zu sichern sind, wenn ihnen von Politik und Gesellschaft eine „licence to operate“ ausgestellt wird. Das Gleiche gilt für die Public Affairs-Branche. Den Transparenz-Erwartungen der Öffentlichkeit zu entsprechen, ist somit nicht nur richtig, sondern auch pragmatisch und klug.

Wir haben es in der Beobachtung des politischen Diskurses und im Austausch mit unseren Kunden eigentlich immer für wenig überzeugend gehalten, sich mit dem pauschalen Hinweis auf bürokratischen Aufwand gegen jegliche staatliche Regelung auszusprechen. Die Umsetzung des Lobbyregistergesetzes bedeutet für die Public-Affairs-Beratungen aber einen wirklich sehr großen Aufwand. Diesen „Bürokratieschmerz“ haben wir deutlich am eigenen Leibe erfahren. Und glauben dennoch: Mehr Transparenz ist richtig und der Umsetzungsaufwand eine erforderliche und ausgezeichnete Investition.

Die Wirkung des Lobbyregisters und deren Grenzen

Doch wie wirksam wird das Transparenzregister sein? Wird es dazu führen, dass die Bürger:innen sich ein besseres Bild von politischen Prozessen machen können und zusätzliches Vertrauen fassen? Die Antwort muss ein klares „jein“ sein. Denn es gibt Argumente in beide Richtungen.

Was spricht für die Wirksamkeit? Erstens sind Angaben zu finanziellen Mitteln und zum Personalaufwand in der politischen Kommunikation wichtige Eckpunkte der Information. Zweitens dürfte das der bisherigen Intransparenz geschuldete Raunen über „verborgene Machenschaften hochbezahlter Lobbyisten“, wie man sie so oder ähnlich oft lesen kann, in sorgfältiger Berichterstattung der Vergangenheit angehören.

Schon ein Blick in das Lobbyregister zeigt die die enorme Bandbreite hochspezialisierter Interessenvertreter:innen, die hier verzeichnet sind. Diese Tatsache verweist – drittens – auf eine wichtige Funktion der Interessenvertretung in einer komplexen und ausdifferenzierten Gesellschaft: Staatliche Akteure können auf das von Interessenvertretern vermittelte Fachwissen nicht verzichten, wenn sie fundierte Entscheidungen treffen wollen. Wichtig ist, dass dabei die Integrität des politischen Entscheidungsprozesses erhalten bleibt: eine der wichtigsten Anforderungen an das Verhalten und die Ressourcenausstattung staatlicher Akteure.

Viertens zeigt das Register, dass gerade die größten Lobbyisten nicht besonders geheimnisvoll agieren, sondern oft bekannte Verbände sind, die mit ihren Absichten und Initiativen nicht hinter dem Berg halten.

Alles das kann dazu führen, die öffentliche Wahrnehmung politischer Interessenvertretung zu entmystifizieren, sie greifbarer und verständlicher zu machen. Etwas weiter und theoretischer gefasst: In der alten Bonner Republik wurde Politik noch korporatistisch gemacht. Wenn Staat, Gewerkschaften und Unternehmensverbände sich zusammengesetzt und geeinigt hatten, galt eine Entscheidung bereits als legitim. Doch diese Zeiten sind vorbei. Abgelöst wurden sie von einer pluralistischen politischen Landschaft, in der viel mehr Akteure in die politische Meinungsbildung eingebunden sind – sei es „nur“ ein einzelner Bürger, der einen Tweet absetzt, sei es ein Unternehmen, das eine Stellungnahme verfasst, oder eine NGO, die ein Gutachten in Auftrag gibt.

Diese neue Vielfalt macht auch eine neue Transparenz erforderlich. Das Transparenzregister liefert hierzu einen wertvollen Beitrag. Es kann überdies auch dabei helfen, den Wandel zum Pluralismus zu vermitteln und einer falschen – korporatistisch gedachten – Skandalisierung von „Partikularinteressen“ entgegenzuwirken.

Doch allzu viel Hoffnung sollte mit dem Register auch wieder nicht verbunden werden. Zum einen hat mangelndes Vertrauen in politische Prozesse sehr unterschiedliche Gründe – auch solche, die sich nicht auf den politischen Prozess, sondern auf seine Ergebnisse beziehen. So korrelieren beispielsweise Wahlbeteiligung und das Vertrauen in die Politik mit spezifischen sozio-ökonomischen Parametern.

Darüber hinaus wird Vertrauen auch gelegentlich durch Skandale erschüttert, die nicht nur vom Fehlverhalten politscher Interessenvertreter:innen herrühren. Hier sei etwa an jüngere Masken- und Plagiats-Affären erinnert und nicht zuletzt auch an den Fall, der den Weg für das Lobbyregister erst politisch freimachte: die Augustus-Intelligence-Affäre um den Abgeordneten Philipp Amthor.

Und schließlich sind dort, wo das Register positive Wirkungen entfalten kann, durchaus noch Verbesserungen möglich: So erfasst es bislang nur die Interessenvertretung gegenüber einem relativ kleinen Kreis exponierter politischer Entscheidungsträger. Der Kontakt zur Arbeitsebene der Bundesministerien wird beispielsweise noch nicht erfasst, ist aber unbestreitbar wichtiger Bestandteil der politischen Meinungsfindung. Außerdem bewegt sich das Register weitgehend in einer Stammdatenwelt. Das heißt konkret: Die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsprozessen wird nicht wesentlich erhöht.

Und schließlich bestehen erhebliche Unsicherheiten bei Definition und Abgrenzung der obligatorischen Angaben, was ein einheitliches Vorgehen der Akteure ebenso erschweren dürfte wie die korrekte Interpretation der Daten.

Zwischenfazit: Die Einführung des Lobbyregisters war aus demokratietheoretischer Perspektive überfällig. Es wird einen Beitrag zum besseren Verständnis und zum Vertrauen in die komplexen politischen Prozesse leisten. Gleichzeitig besteht Optimierungspotenzial – und klar ist überdies, dass ein Lobbyregister nur ein einzelnes Element im Rahmen einer starken politischen Kultur sein kann.

Regeln und Kultur für eine starke Demokratie

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag 2021 ein Nachschärfen des Registers während der Legislaturperiode vereinbart . Wir halten das für den richtigen Weg – und erwarten in diesem Kontext insbesondere die Einbeziehung der Arbeitsebene von Ministerien und eine stärkere Dokumentation von Gesetzgebungsprozessen („legislativer Fußabdruck“).

Wir hoffen, dass damit ein weiterer Beitrag zur demokratisch-rechtsstaatlichen Kultur geleistet werden kann und dass sich Verständnis für und Vertrauen in die Entscheidungsprozesse vertiefen. Denn genau das haben sie verdient!

 

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  • Dr. Thies Clausen

    Dr. Thies Clausen ist ab dem 1. Juli 2024 Senior Vice President & Partner Energie & Klima Deutschland/EMEA bei FleishmanHillard. Zuvor unterstützte er als Partner und Head of Corporate & Public Affairs vor allem Unternehmen bei der Kommunikation mit politischen...

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  • Hark Möller

    Hark Möller ist seit September 2021 als Assistant Account Executive im Corporate & Public Affairs Team von FleishmanHillard tätig. Sein inhaltlicher Schwerpunkt liegt im Bereich der Energie- und Klima- sowie der Finanzpolitik. Erste praktische Erfahrungen sammelte Hark durch Praktika bei...

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