Strategisches Reputationsmanagement durch Corporate Citizenship

       

Dr. Sebastian Schwark ist Partner und Senior Vice President bei FleishmanHillard Germany und leitet das Corporate Reputation Team. Im Interview mit Nils Napierala beschreibt er, warum das Reputationsmanagement von Unternehmen an Komplexität gewonnen hat — und wie sich Unternehmen durch die Definition einer umfassenden Corporate Citizenship vor diesen Risiken schützen können.

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Was kann man sich unter einer Corporate Citizenship vorstellen?

Schwark: „Corporate Citizenship ist das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen, die Verantwortung für die Folgen ihrer Wirtschaftstätigkeit übernehmen. Sie gestalten ihre Geschäftstätigkeit so, dass ihr unternehmerisches Handeln möglichst wenige negative und möglichst viele positive Folgen für die Gesellschaft hat.

Dabei berücksichtigen sie nicht nur die ökonomischen, sondern auch die ökologischen, sozialen und politischen Auswirkungen.

Im Gegensatz zu CSR-Maßnahmen wird das Engagement im Rahmen der Corporate Citizenship nicht als Ergänzung zum wirtschaftlichen Handeln aufgefasst. Profit und Verantwortung werden gemeinsam gedacht und in die Unternehmensstrategie integriert. Ich habe das Konzept in einem White Paper ausführlicher analysiert und beschrieben.”

Wie senkt Corporate Citizenship die Reputationsrisiken?

Schwark:Wer Corporate Citizenship für sich als Prozess definiert, also seinen gesamtgesellschaftlichen Effekt und die Ansprüche der Stakeholder in regelmäßigen Abständen überprüft, senkt seine Reputationsrisiken enorm. Dazu gehört auch, transparent über Fortschritte und auch über Hürden zu berichten.

Heutzutage können eigentlich alle Bereiche unternehmerischen Handelns – von der Strategie über Produktion, Lieferketten und Vermarktung bis zur Abführung von Steuern – extrem schnell politisiert werden. Damit bergen sie die Gefahr eines massiven Reputationsverlusts.

Wer die Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit nicht nur kennt, sondern Strategien zu ihrer positiven Gestaltung hat, erkennt Verantwortung an und reduziert dadurch das Risiko. Durch eine transparente Berichterstattung wird das Informationsbedürfnis der Stakeholder erfüllt und die Deutungshoheit über den eigenen gesamtgesellschaftlichen Effekt gesichert.

Klar definierte Zielen machen das eigene Engagement messbar. Unternehmen, die glaubhaft kommunizieren können, dass sie die Herausforderungen unserer Zeit verstanden haben und Maßnahmen zur besseren Vorbereitung der eigenen Geschäftstätigkeit, aber auch der Gesellschaft auf diese Herausforderungen ergreifen, steigern ihre reputative Resilienz signifikant.

Wie sich eine Corporate Citizenship in die Unternehmensstrategie einbinden lässt und welche Anforderungen sich daraus für die Kommunikation ergeben, haben wir anhand von Fallanalysen in einer Studie aufbereitet, die wir im Februar vorstellen werden.”

Zu Beginn der 2000er-Jahre war „Geiz ist geil“ ein populärer Werbeslogan im deutschsprachigen Markt. Günstige Preise gehörten zu den wichtigsten Ansprüchen, die an Unternehmen gestellt wurden. Mittlerweile scheinen sich die Ansprüche aber geändert zu haben. Was wird heute von einem Unternehmen erwartet, damit es als „gut“ betrachtet wird?

Schwark: „Unternehmen sehen sich einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber. Der Erhalt der „license to operate“ ist komplex und geht weit über die Preisgestaltung hinaus. Die unübersehbaren Herausforderungen vom Klimawandel über die Gestaltung der Digitalisierung bis hin zur Stabilität unseres politischen Systems und der verfassungsmäßigen Ordnung rücken die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in den Fokus. Denn Politik – das politische System – hat massiv an Steuerungsfähigkeit verloren.

Unternehmen müssen daher nicht nur die qualitativen und wirtschaftlichen Anforderungen ihrer Kunden und Shareholder erfüllen, sondern die Interessen aller Stakeholder berücksichtigen und zeigen, dass sie einen Beitrag zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen leisten. Es ist nicht mehr möglich, sich aus politischen Sachverhalten herauszuziehen, indem man darauf verweist, dass man ein wirtschaftlicher Akteur ist.”

Auf den ersten Blick könnte man davon ausgehen, dass es Aufgabe der Politik ist, Lösungen für diese Herausforderungen zu finden…

Schwark: „Absolut. Politik hat aber – wie gesagt – an Steuerungsfähigkeit verloren, nicht zuletzt aufgrund politischer Entscheidungen für Liberalisierung, Deregulierung und Globalisierung. Die politischen Fragestellungen sind aber erheblich komplexer geworden. Zu ihrer Lösung bedarf es daher gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen, die selbstverständlich auch Unternehmen miteinschließen.

Dabei geht es nicht nur darum, dass Unternehmen regulativ zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet werden, sondern vor allem darum, dass sie glaubhaft Verantwortung für sämtliche Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns übernehmen.

Niemand erwartet von Unternehmen, dass sie die gesellschaftlichen Herausforderungen allein bewältigen. Sie müssen aber ihrer spezifischen Verantwortung gerecht werden und ihren Beitrag leisten. Beispielsweise sind viele Unternehmen vom Klimawandel betroffen, aber eben auch dessen (Mit-)Verursacher. Gleichzeitig sind sie aufgrund ihrer Innovationsfähigkeit für die Entwicklung von Lösungen prädestiniert. Sie tragen also eine vielschichtige Verantwortung.”

Mit den olympischen Winterspielen in China und der Fußball-WM in Katar stehen in diesem Jahr zwei Großereignisse an, die bereits Jahre vor ihrem Beginn aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in der Kritik standen. Trotzdem werben Unternehmen wie Adidas, Coca-Cola, Visa oder Airbnb als Großsponsoren  für diese Events. Ist unternehmerische Verantwortung für die Reputation von Unternehmen also doch nicht so wichtig oder sind die genannten Sponsoren einfach „too big to fail“?

Schwark: „Statt „ too big to fail” ließe sich auch sagen „the bigger they are, the harder they fall”. Das Reputationsrisiko ist auch für solche Unternehmen enorm. Events wie die Fußball-WM oder die olympischen Spiele haben durch endemische Korruption, eine mangelhafte Wertfundierung und offenkundige Profitgier der handelnden Personen einen massiven Reputationsverlust erlitten. Hinzu kommen nun noch die Verletzung von Menschenrechten und die Instrumentalisierung für propagandistische Zwecke.

Beides ist nicht neu: Die Fußball WM 1978 in Argentinien, um nur ein Beispiel zu nennen, wurde von der argentinischen Militärjunta, die sich 1976 an die Macht geputscht hatte, propagandistisch ausgeschlachtet, während Oppositionelle verschleppt und in Geheimgefängnissen gefoltert wurden. Die olympischen Spiele in Berlin 1936 sind ein anderes Beispiel.

Heute ist aber die Öffentlichkeit kritischer und setzt diese Aspekte immer wieder auf die Agenda. Sponsoren dringen mit ihren Botschaften dann kaum noch positiv durch. Die Ereignisse sind fest mit ihren negativen Auswirkungen verknüpft. Das merken letztlich auch die Unternehmen selbst, die gerade im Vorfeld der olympischen Spiele weniger damit werben als es in der Vergangenheit noch der Fall gewesen ist.”

Wieso treten Unternehmen, die sich in der westlichen Welt ja auch gerne als Botschafter für Toleranz und Menschenrechte präsentieren, dann trotzdem als Sponsoren für solche Veranstaltungen auf?

Schwark: „Zunächst hat der chinesische Markt natürlich eine enorme Bedeutung. Und auf diesen Markt hat die chinesische Politik einen enormen Einfluss. Als beispielsweise H&M ankündigte, keine Baumwolle mehr aus der Provinz Xinjiang zu verwenden, verschwanden die Filialen von chinesischen Kartendiensten. Es wird aber schwieriger für Unternehmen, einen solchen Spagat durchzuhalten.

Von ihnen wird zunehmend erwartet, dass sie entlang von Werten wirtschaften. Kommunikative Bekenntnisse werden zunehmend kritisch überprüft.

Als BMW im vergangenen Jahr zum Pride Month das Logo in Regenbogenfarben gestaltete, sah sich das Unternehmen kurz darauf massiver Kritik ausgesetzt, weil dies auf Kanälen für den mittleren Osten oder die arabischen Niederlassungen nicht geschah.

Es geht dabei nicht darum, dass Glaubwürdigkeit nur bedeutet, beispielsweise auch in Saudi-Arabien die Regenbogenfahne zu hissen. Aber ein neues Profilbild auf LinkedIn reicht eben nicht aus, um zu zeigen, wie man seinen gesellschaftlichen Einfluss nachhaltig geltend macht.

Es gilt, langfristige Strategien aufzuzeigen und sein Engagement glaubhaft zu belegen, statt auf kurzfristige Marketing-Effekte zu setzen.”

Klimawandel, Menschenrechte, Diversität: Die Liste an Einflussfeldern von Unternehmen ist lang. Bei welchen gesamtgesellschaftlichen Problemstellungen tragen Unternehmen noch Verantwortung?

Schwark: „Betrachtet man es pauschal, dann liefern uns die SDGs, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die zentralen Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen. Die UN hat zur Erreichung dieser Ziele auch explizit die Verantwortung von Unternehmen hervorgehoben und nimmt sie in die Pflicht – etwa im UN Global Compact.

Aber selbstverständlich können sich nicht alle Unternehmen plötzlich mit dem Schutz der Meere oder der Förderung von Bildung auseinandersetzen. Ihre Kernaufgabe ist und bleibt unternehmerische Wertschöpfung. An dieser gilt es anzusetzen.

Es geht darum, den gesamtgesellschaftlichen Effekt der Geschäftstätigkeit möglichst positiv zu gestalten. So leitet sich die Verantwortung von Unternehmen insbesondere aus ihren tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft ab und muss jeweils individuell bestimmt werden.

Um Worthülsen und leere Kampagnen zu vermeiden, müssen Reputationsmanagement und Corporate Citizenship also mit einer Bestandsaufnahme über den Einfluss beginnen, den man als Unternehmen hat.”

Was muss bei einer solchen Bestandsaufnahme erhoben werden?

Schwark: „Zum einen geht es darum, den tatsächlichen Effekt der Geschäftstätigkeit zu erheben – eine Art Inventarisierung. Entlang von Standards können die relevanten Kennzahlen erhoben werden, um zu identifizieren, in welchen Handlungsfeldern man besondere Verantwortung trägt.

Zum anderen geht es darum, in einen kontinuierlichen Austausch mit seinen Stakeholdern zu treten, um zu erkennen, welche Ansprüche von diesen gestellt werden. Aus den entsprechenden Parametern lässt sich anschließend die Corporate Citizenship ableiten. Sie integriert die Ansprüche, die an das Unternehmen gestellt werden, und bildet die Basis für strategisches Reputationsmanagement.

Wer seinen tatsächlichen gesellschaftlichen Effekt und die Ansprüche seiner Stakeholder kennt, erfüllt die notwendigen Voraussetzungen, um eine unternehmensspezifische Corporate Citizenship zu entwickeln.”

 

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    Dr. Sebastian Schwark ist Partner und Senior Vice President bei FleishmanHillard Germany. Er leitet das Corporate Reputation Team und ist ein Experte für professionelles Reputationsmanagement. Sebastian Schwark unterstützt Unternehmen und Führungskräfte dabei, gesellschaftliche Fragen und Anforderungen der Stakeholder erfolgreich zu...

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    Dr. Nils Napierala ist Account Supervisor bei FleishmanHillard Germany. Er ist Teil des Corporate Reputation Teams, mit dem er bereits 2021 als selbstständiger Kommunikationsberater zusammenarbeitete. Dr. Nils Napierala unterstützt Unternehmen dabei, sich hinsichtlich gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen zu positionieren und die Erwartungen...

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